Freitag, 30. April 2010

Neues Anwendungsbeispiel für § 165 AO und aktuelleVerfassungsbeschwerden: Splitting für Lebenspartnerschaften

Für Lernende und Lehrende im Bereich Steuern. Themen: Splitting, Zusammenveranlagung, ferner die vorläufige Steuerfestsetzung nach § 165 AO.

Dem Bundesverfassungsgericht liegen derzeit zwei Verfassungsbeschwerden bezüglich der Nichtgewährung des Splittingtarifes für eingetragene Lebenspartnerschaften vor.

Damit knüpfe ich an ein Thema an, das ich kürzlich im Unterricht angeschnitten habe: die Splittingmethode. Ferner soll es Anlass sein, sich mit dem § 165 AO zu befassen, der in der Steuerpraxis alltägliche Bedeutung hat.

Was bedeutet  Splittingtarif?


Der Splittingtarif ist ein notwendiger Filter, der wegen der Steuerprogression, aber auch wegen des Grundfreibetrages notwendig ist. Bei einem Ehepaar geht man davon aus, dass beide vom gemeinsamen "Einkommens-Topf" leben müssen. Somit muss so gerechnet werden, als wenn beide die genau Hälfte des Topfes verdienen, auch wenn nur ein Partner Einkünfte erzielt.

Der Effekt ist, dass zweimal der Grundfreibetrag steuerfrei bleibt, und dass das restliche zu versteuernde Einkommen dem unteren Bereich der Progressionszone unterworfen ist. Ein Beispiel: Ein Partner verdient 40.000 Euro. Über das Splittingverfahren werden die ersten 20.000 Euro "normal" nach dem Tarif (§ 32a EStG) versteuert, wovon die ersten 7.834 Euro steuerfrei sind (Stand 2010) und die anschließenden 12.166 Euro der Progression unterliegen. Für die nächsten 20.000 Euro beginnt die Rechnung erneut von vorn: 7.834 Euro bleiben steuerfrei und der Rest unterliegt wieder der Progression im unteren Bereich.

Würde man nur den verdienenden Partner besteuern, würden die zweiten 20.000 Euro sofort weiter versteuert werden, und zwar im Anschluss des erreichten Grenzsteuersatzes.

Bei einem Alleinverdiener ist der Steuervorteil nachvollziehbar. Aber auch wenn beide Partner verdienen, ergeben sich rechnerische Effekte, obwohl hier der Grundfreibetrag bereits zweimal zur Anwendung käme. Trotzdem zwingt die Mathematik zu folgendem Ergebnis: sobald unterschiedlich hohe Einkünfte vorliegen, ergibt sich eine höhere Steuer, als wenn man die beiden Einkünfte in einen Topf wirft und hälftig teilt.

Der Splittingtarif ist in § 32a Absatz 6 geregelt. Er basiert auf der grundlegenden Formel in § 32a Absatz 1 und ordnet lediglich eine zusätzliche Rechenoperation an. Der Gesetzestext ist beim ersten Lesen kaum verständlich. Gemeint ist letztlich, dass vor Anwendung des Tarifs (§ 32a Abs. 1) die Einkünfte gleichmäßig verteilt werden (also Gesamteinkünfte geteilt durch zwei), dann aus diesem halbierten Betrag die ESt unter Anwendung des § 32a Abs. 1 berechnet wird, und anschließend das Ergebnis mal zwei genommen wird.

Die Zusammenveranlagung


Formal ist dazu ein einheitliches Veranlagungsverfahren notwendig, bei der die Eheleute eine gemeinsame Steuererklärung abgeben, in der alle Einkünfte und Ausgaben erfasst werden. Die Prüfung der beiden Steuerfälle erfolgt einheitlich und ebenso die Festsetzung in einem einzigen Bescheid. Diese "Zusammenveranlagung" ist nicht in § 32a EStG, sondern in §§ 25 ff EStG geregelt. Sie ist kein Zwang - die Eheleute können auch eine getrennte Veranlagung wählen, womit aber auch die Splittingmethode nicht zur Anwendung kommt.

Es besteht also ein gewisser Zusammenhang zwischen Veranlagungsverfahren (§§ 25 ff EStG) und der Steuerberechnung (§ 32a EStG - Grundtarif oder Splittingtarif). Der Lernende muss aber beachten: der Zusammenhang ist nicht zwingend. Es gibt zwei Fälle, in denen der Splittingtarif auch bei einem Alleinstehenden angewandt wird, also bei dessen Einzelbesteuerung. Dies gilt für den


  • Verwitweten für das erste Jahr nach dem Tod des Ehegatten,

ferner unter bestimmten Fällen für


  • Geschiedene im Scheidungsjahr, wenn der Ehegatte nochmal heiratet.

Im ersteren Fall spricht man von "Gnadensplitting", ein Geschenk des Staates und keine zwingend logische Notwendigkeit.

Dies soll dem Lernenden deutlich machen: der Entscheidung über den Splittingtarif ist nicht zwingend an eine gemeinsame Veranlagung von Ehegatten gebunden; beide Aspekte müssen getrennt geprüft werden. Die genannten Spezialfälle sind übrigens auch in § 32a Absatz 6 EStG geregelt, und zwar in Nummer 2.

Die Wiederverheiratungsklausel wird übrigens verständlich, wenn man bedenkt, dass auch Geschiedene im Jahr der Scheidung die Zusammenveranlagung wählen könnten. Für die Wahl dieser Veranlagungsform reicht es, wenn die in § 26b EStG genannten Voraussetzungen für die Zusammenveranlagung (Verheiratet - nicht dauernd getrennt lebend - beide unbeschränkt steuerpflichtig) nur einen Tag im Veranlagungsjahr erfüllt sind (es gibt tatsächlich Prüfungen, in denen Fälle konstruiert sind, bei denen die Trennung am 1.1. des Veranlagungsjahres erfolgt). Nun - wenn im Scheidungsjahr der andere Ehepartner wieder heiratet, und dort ebenfalls die Voraussetzungen der ZVA gegeben ist,  ist dem Geschiedenen die Zusammenveranlagung verwehrt. Hier liegt die Motivation für die Regelung in § 32a Absatz 6, auf die ich ansonsten nicht weiter eingehen will.

Die Splittingmethode wäre nun auch im Falle von nichtehelichen Lebensgemeinschaften geboten, jedenfalls aus dem Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit. Dies wird besonders deutlich bei Familien mit Kindern. Der Gesetzgeber will diesen Steuervorteil aber nur gewähren, wenn beide die Ehe wählen, die mit einem Bündel von Rechten und Pflichten verbunden ist (Unterhaltspflichten Versorgungsausgleich, Erbregelung, Sorgerecht im Todesfall usw.). Dieses Argument lässt sich nicht zwingend widerlegen, die Entscheidung des Gesetzgebers liegt deshalb nach herrschender Meinung  im zulässigen Ermessensbereich.

Was ist aber bei eingetragenen Lebenspartnerschaften von Gleichgeschlechtlichen? Diese könnten schließlich nicht heiraten.  Seltsamerweise erlaubt auch hier der Gesetzgeber kein Splitting. Und darum geht es derzeit bei den Verfahren vor dem Bundesverfassunsgericht.  Die Gerichte bis zum Bundesfinanzhof haben bislang in dieser Ungleichbehandlung keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG gesehen. Bislang ist immer noch zwei Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. Die Aktenzeichen lauten: 2 BvR 909/06 und 2 BvR 288/07.

Die vorläufige Steuerfestsetzung, § 165 AO


Welche verfahrensrechtlichen Folgen ergeben sich aber derzeit für Homo-Ehen? Nach Einleitung der Verfahren  wurde empfohlen, Einspruch (§ 347 AO) einzulegen und Ruhen des Einspruchsverfahrens zu beantragen, bis das BVerfG-Verfahren abgeschlossen ist. Eine Maßnahme, zu denen die Steuerberater in ihren Rundschreiben raten, damit die Steuerbescheide nicht rechtskräftig und inhaltlich bindend werden.

Um solche Aktenleichen zu verhindern, gehen die Finanzämter bald nach Verfahrensbeginn dazu über, Einkommensteuerbescheide mit der Vorläufigkeitsklausel des § 165 AO zu versehen. Die Bescheide ergehen "vorläufig" im Sinne des § 165 AO. Wir erinnern uns: die Wirkung einer vorläufigen Festsetzung ist, dass der Bescheid inhaltlich keine bindende und endgültige Rechtslage schafft. Das ist normalerweise einer der Hauptzwecke eines Verwaltungsaktes, neben dem Zweck, eine konkrete Zahlungspflicht, sowie eine Vollstreckungsgrundlage (Vollstreckungstitel) zu schaffen. § 165 AO erlaubt aber in Absatz 2, dass der Bescheid jederzeit geändert werden kann, solange die Vorläufigkeit im Sinne des § 165 AO besteht, auch wenn der Bescheid wegen Ablaufs der Rechtsmittlefrist von einem Monat (§ 355 AO) bestandskräftig ist, ein Einspruch also nicht mehr möglich ist. Die Änderungsmöglichkeit besteht aber nur für denjenigen Punkt, der unter die "Vorläufigkeit" gestellt wurde.

Die vorläufige Steuerfestsetzung (die Sie keinesfalls mit der Festsetzung unter Vorbehalt nach § 164 AO verwechseln dürfen) ist eigentlich für Fälle gedacht, in denen eine Besteuerungsgrundlage noch ungeklärt ist und auch nicht auf die Schnelle geklärt werden kann. Beispiele sind schwebende Verfahren mit Geschäftspartnern, deren Ausgang den Jahresgewinn beeinflusst, oder bei einem Streit über die Erbfolge, von dem die Höhe oder der Bestand eines Erbschaftsteuerbescheides abhängt. Sie wird aber auch angewandt, wenn die Berechnung der Steuer ungeklärt ist und eine Klärung erst in Monaten oder Jahren im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde erfolgen kann. § 165 AO bezieht diese Fälle ausdrücklich ein und definiert den genauen Anwendungsbereich.

Solche Streitigkeiten können sich z.B. auf den ESt-Tarif selbst (§ 32a EStG) oder die Beschränkung von Werbungskosten und Betriebsausgaben (siehe Entfernungspauschale) oder den Kinderfreibetrag beziehen.



Annex: Gesetzestexte, Stand April 2010:

§ 32a Einkommensteuertarif



(1) 1Die tarifliche Einkommensteuer bemisst sich nach dem zu versteuernden Einkommen. 2Sie beträgt vorbehaltlich der §§ 32b, 32d, 34, 34a, 34b und 34c jeweils in Euro für zu versteuernde Einkommen

1.


bis 7 834 Euro (Grundfreibetrag):

0;


2.


von 7 835 Euro bis 13 139 Euro:

(939,68 y + 1 400) y;


3.


von 13 140 Euro bis 52 551 Euro:

(228,74 z + 2 397) z + 1 007;


4.


von 52 552 Euro bis 250 400 Euro:

0,42 x – 8 064;


5.


von 250 401 Euro an:

0,45 x – 15 576.



3„y“ ist ein Zehntausendstel des 7 834 Euro übersteigenden Teils des auf einen vollen Euro-Betrag abgerundeten zu versteuernden Einkommens. 4„z“ ist ein Zehntausendstel des 13 139 Euro übersteigenden Teils des auf einen vollen Euro-Betrag abgerundeten zu versteuernden Einkommens. 5„x“ ist das auf einen vollen Euro-Betrag abgerundete zu versteuernde Einkommen. 6Der sich ergebende Steuerbetrag ist auf den nächsten vollen Euro-Betrag abzurunden.

(2) bis (4) (weggefallen)

(5) Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26b zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, beträgt die tarifliche Einkommensteuer vorbehaltlich der §§ 32b, 32d, 34, 34a, 34b und 34c das Zweifache des Steuerbetrags, der sich für die Hälfte ihres gemeinsam zu versteuernden Einkommens nach Absatz 1 ergibt (Splitting-Verfahren).

(6) 1Das Verfahren nach Absatz 5 ist auch anzuwenden zur Berechnung der tariflichen Einkommensteuer für das zu versteuernde Einkommen

1.


bei einem verwitweten Steuerpflichtigen für den Veranlagungszeitraum, der dem Kalenderjahr folgt, in dem der Ehegatte verstorben ist, wenn der Steuerpflichtige und sein verstorbener Ehegatte im Zeitpunkt seines Todes die Voraussetzungen des § 26 Absatz 1 Satz 1 erfüllt haben,


2.


bei einem Steuerpflichtigen, dessen Ehe in dem Kalenderjahr, in dem er sein Einkommen bezogen hat, aufgelöst worden ist, wenn in diesem Kalenderjahr

a)


der Steuerpflichtige und sein bisheriger Ehegatte die Voraussetzungen des § 26 Absatz 1 Satz 1 erfüllt haben,


b)


der bisherige Ehegatte wieder geheiratet hat und


c)


der bisherige Ehegatte und dessen neuer Ehegatte ebenfalls die Voraussetzungen des § 26 Absatz 1 Satz 1 erfüllen.



2Dies gilt nicht, wenn eine Ehe durch Tod aufgelöst worden ist und die Ehegatten der neuen Ehe die besondere Veranlagung nach § 26c wählen.



2Voraussetzung für die Anwendung des Satzes 1 ist, dass der Steuerpflichtige nicht nach den §§ 26, 26a getrennt zur Einkommensteuer veranlagt wird.

§ 165 Vorläufige Steuerfestsetzung, Aussetzung der Steuerfestsetzung



(1) Soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind, kann sie vorläufig festgesetzt werden. Diese Regelung ist auch anzuwenden, wenn

1.


ungewiss ist, ob und wann Verträge mit anderen Staaten über die Besteuerung (§ 2), die sich zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken, für die Steuerfestsetzung wirksam werden,


2.


das Bundesverfassungsgericht die Unvereinbarkeit eines Steuergesetzes mit dem Grundgesetz festgestellt hat und der Gesetzgeber zu einer Neuregelung verpflichtet ist,


3.


die Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht Gegenstand eines Verfahrens bei dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht ist oder


4.


die Auslegung eines Steuergesetzes Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesfinanzhof ist.



Umfang und Grund der Vorläufigkeit sind anzugeben. Unter den Voraussetzungen der Sätze 1 oder 2 kann die Steuerfestsetzung auch gegen oder ohne Sicherheitsleistung ausgesetzt werden.


(2) Soweit die Finanzbehörde eine Steuer vorläufig festgesetzt hat, kann sie die Festsetzung aufheben oder ändern. Wenn die Ungewissheit beseitigt ist, ist eine vorläufige Steuerfestsetzung aufzuheben, zu ändern oder für endgültig zu erklären; eine ausgesetzte Steuerfestsetzung ist nachzuholen. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 4 endet die Ungewissheit, sobald feststeht, dass die Grundsätze der Entscheidung des Bundesfinanzhofs über den entschiedenen Einzelfall hinaus allgemein anzuwenden sind. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 muss eine vorläufige Steuerfestsetzung nach Satz 2 nur auf Antrag des Steuerpflichtigen für endgültig erklärt werden, wenn sie nicht aufzuheben oder zu ändern ist.


(3) Die vorläufige Steuerfestsetzung kann mit einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung verbunden werden.