Donnerstag, 25. August 2011

Das Verzögerungsgeld - die neue steuerliche Nebenleistung

Anlässlich einer Pressemitteilung des BFH vom 20.07.2011 möchte ich alle Steuerfachangestellte bzw. Auszubildenden auf das Verzögerungsgeld hinweisen, das mittlerweile zum Katalog der steuerlichen Nebenleistungen gehört - und damit zum Prüfungswissen im Fach  "Abgabenordnung".


Die genannte Pressemitteilung betrifft eine im Juni ergangene Entscheidung über Festsetzung von Verzögerungsgeld im Rahmen einer Außenprüfung, BFH, Pressemitteilung Nr. 53/11 vom 20.07.2011 zum Beschluss IV B 120/10 vom 16.06.2011.


Mit Beschluss vom 16. Juni 2011 IV B 120/10 hatte nämlich der Bundesfinanzhof (BFH)  entschieden, dass ein Verzögerungsgeld verhängt werden kann, wenn ein Steuerpflichtiger seinen Mitwirkungspflichten im Rahmen einer Außenprüfung nicht fristgerecht nachkommt. Allerdings ist die mehrfache Festsetzung eines Verzögerungsgelds wegen fortdauernder Nichtvorlage derselben Unterlagen nicht rechtens - anders als beim Zwangsgeld! Insoweit hatte das Gericht das Finanzamt korrigiert.

Mit dem Jahressteuergesetz 2009 hat der Gesetzgeber - bisher weitgehend unbemerkt - das sog. Verzögerungsgeld eingeführt,  § 146 Abs. 2b AO. Es beträgt mindestens 2.500 Euro und höchstens 250.000 Euro und kann unter anderem festgesetzt werden, wenn der Steuerpflichtige bei einer Außenprüfung nicht innerhalb einer angemessenen Frist Auskünfte erteilt oder Unterlagen vorlegt - was nicht so einfach erkennbar ist. Denn im § 146 Abs. 2b AO geht es primär um Fälle der Auslandsverlagerung der Buchführung.


Ursprünglich stand die Einführung des Verzögerungsgelds im Zusammenhang mit der seit 2009 eingeräumten Befugnis, die Buchführung eines Unternehmens in das Ausland zu verlagern. Um einer evtl. erforderlichen Rückverlagerung der Buchführung in das Inland Nachdruck zu verleihen, wurde das Verzögerungsgeld eingeführt. Der Gesetzgeber hat es aber nicht bei dieser Regelung belassen, sondern das Verzögerungsgeld auch auf die verzögerte Mitwirkung im Rahmen einer Außenprüfung erstreckt. Der Finanzverwaltung steht damit neben der auch weiter bestehenden Möglichkeit zur Verhängung eines Zwangsgelds ein durchaus scharfes Sanktionsinstrument zur Verfügung, vergleicht man etwa die Höhe des Verzögerungsgelds von mindestens 2.500 Euro bis zu 250.000 Euro mit der Höhe des Zwangsgeldes, das höchstens 25.000 Euro betragen darf. Zudem ist das Verzögerungsgeld anders als das Zwangsgeld auch dann zu zahlen, wenn der Steuerpflichtige seiner Verpflichtung nach dessen Festsetzung doch noch nachkommt.

Im Streitfall hatte der Steuerpflichtige von dem Finanzamt (FA) im Rahmen einer Außenprüfung angeforderte Unterlagen nicht fristgerecht eingereicht. Weil bestimmte Unterlagen auch nach der Festsetzung eines Verzögerungsgelds nicht vorgelegt wurden, forderte das FA erneut zur Vorlage auf und setzte wegen derselben Unterlagen ein weiteres Verzögerungsgeld fest.


Der Beschluss in vollem Wortlaut ist hier:

Beschluss des IV.  Senats vom 16.6.2011 - IV B 120/10 -


Er ist sehr erschlagend, vor allem, weil auch viele andere Aspekte durchzuprüfen waren, die hier nicht weiter interessant sind. Ich habe die zwei relevanten Abschnitte aus den Entscheidungsgründen herauskopiert. Das sind zum einen die Randnummern 37 bis 40 (für die erstmalige Festsetzung des Verzögerungsgeldes auch in Außenprüfungsverfahren) und Randnummern 49 ff bezüglich der wiederholten Festsetzung bei fortdauernder Untätigkeit.


1. Ausschnitt (Hervorhebungen durch Fettschrift stammen von mir):




























37








Das FA hat die Festsetzung des Verzögerungsgelds in Höhe von 2.500 EUR wegen Nichtvorlage der Buchführungsunterlagen zu Recht auf § 146 Abs. 2b AO gestützt.







 








38








a) Nach der Regelung des § 146 Abs. 2b AO kann ein Verzögerungsgeld von 2.500 EUR bis 250.000 EUR festgesetzt werden, wenn ein Steuerpflichtiger der Aufforderung zur Rückverlagerung seiner elektronischen Buchführung oder seinen Pflichten nach § 146 Abs. 2a Satz 4 AO, zur Einräumung des Datenzugriffs nach § 147 Abs. 6 AO, zur Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage angeforderter Unterlagen i.S. des § 200 Abs. 1 AO im Rahmen einer Außenprüfung innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist nach Bekanntgabe durch die zuständige Finanzbehörde nicht nachkommt oder er seine elektronische Buchführung ohne Bewilligung der zuständigen Finanzbehörde ins Ausland verlagert hat.







 








39








Das Verzögerungsgeld wurde durch Art. 10 Nr. 8 des Jahressteuergesetzes 2009 vom 19. Dezember 2008 (BGBl I 2008, 2794) --JStG 2009-- mit Wirkung vom 25. Dezember 2008 (Art. 39 Abs. 1, Abs. 8 JStG 2009) als neue steuerliche Nebenleistung (§ 3 Abs. 4 AO) eingeführt. Die Einführung des Verzögerungsgelds stand im engen Kontext mit der ebenfalls durch das JStG 2009 eingeführten Regelung in § 146 Abs. 2a AO. Danach kann das Finanzamt dem Steuerpflichtigen unter bestimmten Voraussetzungen bewilligen, seine Buchführung in das Ausland zu verlagern. Für den Fall, dass die Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, kann die Bewilligung widerrufen und die unverzügliche Rückverlagerung verlangt werden (§ 146 Abs. 2a Satz 3 AO). Um den Steuerpflichtigen in diesem Fall zu einer zeitnahen Rückverlagerung der Buchführung anzuhalten, ist die Möglichkeit der Festsetzung eines Verzögerungsgelds normiert worden.







 








40









Über diesen direkten Normzusammenhang hinaus kann nach dem zuvor dargelegten Wortlaut ein Verzögerungsgeld aber auch dann verhängt werden, wenn ein Steuerpflichtiger einer Aufforderung des Finanzamts zur Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage angeforderter Unterlagen i.S. von § 200 Abs. 1 AO im Rahmen einer Außenprüfung innerhalb einer angemessenen Frist nicht nachkommt (Urteil des Schleswig-Holsteinischen FG vom 1. Februar 2011  3 K 64/10, Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 846; ebenso Geißler, Neue Wirtschaftsbriefe 2009, 4076; Klein/Rätke, AO, 10. Aufl., § 146 Rz 5b; Gebbers, Die steuerliche Betriebsprüfung 2009, 130).


Es erscheint zwar systematisch missglückt, die Regelung des Verzögerungsgelds wegen der Verletzung von Mitwirkungspflichten bei einer Außenprüfung mit einem Verzögerungsgeld im Zusammenhang mit anderen Verpflichtungen zu verbinden. Sie hätte, worauf Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 146 AO Rz 51 zutreffend hinweist, besser in § 200 AO verortet werden sollen.


Angesichts des eindeutigen Wortlauts kann aber allein aus der unzureichenden systematischen Verortung nicht darauf geschlossen werden, dass ein Verzögerungsgeld nur im Zusammenhang mit einer ohne Bewilligung der Finanzbehörde erfolgten Verlagerung der Buchführung ins Ausland oder unterbliebener Rückverlagerung der Buchführung aus dem Ausland festgesetzt werden darf (so aber Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 146 AO Rz 51).


Dieses Verständnis der Norm wird durch die Gesetzesbegründung gestützt. Danach soll das Verzögerungsgeld im Falle der Verletzung von Mitwirkungspflichten gleichermaßen gelten, um eine Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, die ihre Bücher und sonstigen Aufzeichnungen im Ausland führen, gegenüber solchen Steuerpflichtigen, die dies im Inland tun, zu vermeiden (vgl. BTDrucks 16/10189, S. 81). Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob eine Erstreckung des Verzögerungsgelds auch auf Fälle sonstiger Mitwirkungsverletzungen aus Gründen der Gleichbehandlung überhaupt erforderlich gewesen wäre (ablehnend Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 146 AO Rz 51).




2. Ausschnitt:
























49








3. Bei summarischer Prüfung bestehen indes ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 29. Juni 2010 in der Fassung vom 1. Oktober 2010.







 








50








a) Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die mehrfache Festsetzung eines Verzögerungsgelds wegen fortdauernder Nichtvorlage derselben angeforderten Unterlagen i.S. des § 200 Abs. 1 AO von § 146 Abs. 2b AO gedeckt ist (für zulässig erachtet von tom Suden, § 146 Abs. 2a und 2b AO: Das trojanische Pferd im Steuerrecht, Die Steuerberatung 2009, 207; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 22. April 2010, Deutsches Steuerrecht 2011, 676).







 








51









Die Zulässigkeit einer mehrfachen Festsetzung wegen derselben Verpflichtung lässt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck der Regelung des § 146 Abs. 2b AO entnehmen. Das Verzögerungsgeld soll nach der Gesetzesbegründung den Steuerpflichtigen zur zeitnahen Mitwirkung anhalten. Es steht damit in einem Konkurrenzverhältnis zu dem Zwangsgeld gemäß § 328 Abs. 1, § 329 AO.


Für das Zwangsgeld enthält § 332 Abs. 3 AO die ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung, es erneut wegen derselben Verpflichtung anzudrohen, wenn das zunächst angedrohte Zwangsgeld erfolglos geblieben ist.


Das Schweigen des Gesetzgebers zu der Möglichkeit einer erneuten Festsetzung eines Verzögerungsgelds deutet daher darauf hin, dass ein Verzögerungsgeld wegen derselben Verpflichtung nur einmal festgesetzt werden kann.


Eine analoge Anwendung des § 332 Abs. 3 AO kommt nach Auffassung des Senats nicht in Betracht, weil nicht zu erkennen ist, dass das Fehlen einer Regelung zur wiederholten Festsetzung eines Verzögerungsgelds auf einem Versehen des Gesetzgebers beruht. Es fehlt damit an der für eine analoge Gesetzesanwendung erforderlichen planwidrigen Regelungslücke.