Freitag, 14. August 2015

Scheidungskosten doch noch als außergewöhnliche Belastung?

Dieser Artikel richtet sich an Steuerfachangestellte oder auszubildende, aber auch an Steuerpflichtige, die eine Scheidung hinter sich haben und sich fragen, ob man diese bei der ESt-Erklärung als außergewöhnliche Belastung im Sinne von § 33 EStG ansetzen könne.

Früher sagte man nein, dann ja, dann hat der Gesetzgeber einen Riegel vorgeschoben. Und jetzt kristallisiert sich heraus, dass immer noch alles offen ist, auch für die Zeit nach der Neuregelung.

Eine Entscheidung des FG Münster vom 19.06.2015 weist darauf hin, dass diese Rechtsfrage immer noch ungeklärt ist. Daher hat es bei einem Einspruch eines Steuerpflichtigen auch den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bejaht (§ 361, hier Fallgruppe "ernstliche Zweifel").

Für die Laien unter den Lesern bedeutet dies, kurz gesagt: Setzen Sie die Scheidungskosten an, warten Sie den ESt-Bescheid ab. Dieser wird mit Sicherheit diese Kosten gekürzt haben. Legen Sie gegen den Steuerbescheid Einspruch ein und beantragen Sie Aussetzung der Vollziehung, damit Sie nicht vorläufig zahlen müssen. Beantragen Sie ferner das Ruhen des Einspruchsverfahrens bis zur Entscheidung über die gegenwärtig anhängigen Verfassungsbeschwerden zu dieser Frage.

Für meine Schüler und andere Steuerfachleute verweise ich auf nachfolgenden Text der Entscheidung des FG Münster, ferner auf die einschlägige Gesetzestextstelle im EStG, die von vielen nicht gefunden wird: § 33 Abs. 2 Satz 4



Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits (Prozesskosten) sind vom Abzug ausgeschlossen, es sei denn, es handelt sich um Aufwendungen ohne die der Steuerpflichtige Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können. § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG

Frühere Versionen des § 33 finden Sie z.B. bei www.buzer.de zu § 33 EStG.

Und hier die Entscheidung des Finanzgericht Münster
https://www.justiz.nrw.de/nrwe/fgs/muenster/j2015/1_V_795_15_E_Beschluss_20150619.html
Datum:
19.06.2015
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 V 795/15 E

Tenor:

Die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2013 vom 06.02.2015 wird in Höhe von 820,00 Euro bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch vom 12.02.2015 gegen den vorgenannten Bescheid ausgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
1

Gründe 2

I. 3

Streitig ist, ob Kosten im Zusammenhang mit einem Ehescheidungsprozess als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig sind. 4

Die Antragstellerin machte in ihrer Einkommensteuererklärung 2013 Scheidungskosten in Höhe von 7.509,77 Euro als außergewöhnliche Belastung gem. § 33 Abs. 2 Satz 4 Einkommensteuerbesetz (EStG) geltend. Die Aufwendungen setzen sich zusammen aus zwei Rechnungen der Rechtsanwälte & Collegen aus sowie einer Rechnung der Oberjustizkasse . Auf diese Rechnungen wird Bezug genommen. 5

Im Einkommensteuerbescheid 2013 vom 06.02.2015 erkannte der Antragsgegner die Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastungen an und setze die Einkommensteuer auf 1.915,00 Euro fest. Zu den Einzelheiten der Steuerfestsetzung wird auf den Bescheid vom 06.02.2015 verwiesen. 6

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrem Einspruch vom 11.02.2015, über den noch nicht entschieden wurde. Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, dass Scheidungskosten auch nach der Einführung des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG weiterhin als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen seien. 7

Mit Bescheid vom 03.03.2015 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Hierzu führte er aus, zwar seien vor dem Bundesfinanzhof (BFH) zwei Revisionsverfahren zur Frage der Berücksichtigung der unmittelbar durch einen Scheidungsprozess verursachten Kosten als außergewöhnliche Belastungen anhängig (Aktenzeichen: VI R 66/14 und VI R 81/14). Aus Sicht der Verwaltung sei die Rechtslage jedoch eindeutig. 8

Mit ihrem Antrag vom 10.03.2015 begehrt die Antragstellerin nunmehr die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides 2013 in Höhe der sich bei einer Berücksichtigung der Scheidungskosten als außergewöhnliche Belastungen ergebenden Minderung der Steuerfestsetzung (820,00 Euro). Zur Begründung trägt die Antragstellerin vor, durch die Einführung des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG habe die Berücksichtigung von Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen auf die vor 2013 geltende Auffassung der Finanzverwaltung begrenzt werden sollen. Da ohne das Scheidungsverfahren eine Ehe nicht aufgelöst werden könne, seien ihre Aufwendungen zwangsläufig entstanden. Nach herrschender Meinung seien Ehescheidungskosten trotz der Neuregelung in § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG in dem ursprünglich von der Rechtsprechung anerkannten Umfang weiterhin als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig. Hierzu beruft sich die Antragstellerin unter anderem auf das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 16.10.2014 (4 K 1976/14, EFG 2015, 39 n. rkr.; Rev. BFH VI R 66/14) und trägt die dort genannte Begründung vor. 9

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, 10

die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2013 vom 06.02.2015 in Höhe von 820,00 Euro bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch vom 12.02.2015 gegen den vorgenannten Bescheid auszusetzen. 11

Der Antragsgegner beantragt, 12

den Antrag abzulehnen. 13

Durch die Einführung des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG sei die Abzugsfähigkeit von Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen ab dem Veranlagungszeitraum 2013 neu geregelt worden. Damit sei die frühere Rechtsprechung des BFH zu den Scheidungskosten überholt. Eine Abzugsfähigkeit von Prozesskosten sei daher ab 2013 nur noch möglich, wenn die Voraussetzungen des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG vorlägen. Nur in dem extremen Ausnahmefall, wenn der Steuerpflichtige Gefahr laufe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, sei ein Abzug von Prozesskosten überhaupt denkbar. Eine Aussetzung der Vollziehung komme auch vor dem Hintergrund der zur vorliegenden Rechtsfrage anhängigen Revisionsverfahren vor dem BFH (VI R 66/14 und VI R 81/14) nicht in Betracht, da die Rechtslage aus Sicht der Verwaltung eindeutig sei. 14

II. 15

Der Antrag ist zulässig und begründet. 16

Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung auf Antrag ganz oder zum Teil aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessens gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel im vorgenannten Sinne bestehen, soweit eine summarische Prüfung ergibt, dass neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen. Der Erfolg braucht jedoch nicht wahrscheinlicher zu sein als der Misserfolg (vgl. BFH, Beschluss vom 13.10.2009 VIII B 62/09, BStBl II 2010, 180). Auszusetzen ist insbesondere, wenn die Rechtslage unklar ist, weil die Rechtsfrage vom BFH noch nicht entschieden worden ist (vgl. Seer in Tipke/Kruse § 69 FGO Rz. 91 mit Nachweisen zur Rechtsprechung). 17

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Rechtsgrundlagen ist die beantragte Aussetzung der Vollziehung zu gewähren, da die Versagung des Abzugs der Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen in dem angefochtenen Einkommensteuerbescheid ernstlich zweifelhaft im Sinne des § 69 Abs. 2 i.V.m. Abs. 2 FGO ist. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist die Rechtslage insofern nicht eindeutig. 18

Nach § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG, der ab dem Veranlagungszeitraum 2013 anzuwenden ist, sind Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits (Prozesskosten) vom Abzug (als außergewöhnliche Belastungen) ausgeschlossen, es sei denn, es handelt sich um Aufwendungen, ohne die der Steuerpflichtige Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können. Was unter dem Begriff der „Existenzgrundlage“ im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 4 EStG zu verstehen ist, ist im Gesetz nicht näher geregelt. 19

Ein Teil der Literatur geht von einem rein materiellen Verständnis des Begriffs „Existenzgrundlage“ aus (Heim, DStZ 2014, 165; Kanzler, FR 2014, 209, 214; ders. in Herrmann/Heuer/Raupach, § 33 EStG, Anm. 213). Nach dieser Ansicht schließt § 33 Abs. 1 Satz 4 EStG Scheidungsprozesskosten grundsätzlich vom Abzug als außergewöhnliche Belastungen aus. Ein Abzug käme nur dann in Betracht, wenn im Einzelfall ohne Scheidung die materielle Existenzgrundlage bedroht wäre. 20

Demgegenüber vertritt die wohl herrschende Meinung in der Literatur die Auffassung, dass Ehescheidungskosten trotz der Neuregelung in dem ursprünglich von der Rechtsprechung anerkannten Umfang weiterhin abzugsfähig sein sollen. Dabei wird der Begriff der „Existenzgrundlage“ über ein bloßes materielles Verständnis hinaus weit ausgelegt (vgl. Loschelder in Schmidt, EStG, 34. Aufl. 2015, § 33 Rz. 35; Nieuwenhuis, DStR 2014, 1701; Gerauer, NWB 2014, 2621, Bleschick, FR 2013, 932). 21

Das Finanzgericht Münster und das Finanzgericht Rheinland-Pfalz haben mit Urteilen vom 21.11.2014 (4 K 1829/14 E, EFG 2015, 221) und vom 16.10.2014 (4 K 1976//14, EFG 2015, 39) unter Würdigung der Gesetzeshistorie, der bisherigen Rechtsprechung und der Auffassungen in der Literatur entschieden, dass auch nach der Einführung des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG Scheidungskosten, die unmittelbar durch den Scheidungsprozess veranlasst sind, als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig sind. Hierunter fallen Gerichts- und Anwaltskosten des Scheidungsverfahrens, nicht jedoch Scheidungsfolgesachen, wie z.B. die Vermögensauseinandersetzung. Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und das Finanzgericht Münster hat die Revision zur Rechtsfortbildung zugelassen, da eine höchstrichterliche Entscheidung über die Auslegung des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG bisher nicht vorliege und die Frage eine Vielzahl von Fällen betreffe. Die seitens der Verwaltung eingelegten Revisionen werden beim BFH unter den Aktenzeichen VI R 66/14 und VI R 81/14 geführt. 22

Vor diesem Hintergrund kann -entgegen der Auffassung des Antragsgegners- bei summarischer Würdigung nicht davon ausgegangen werden, dass die Rechtslage hinsichtlich der Abzugsfähigkeit von unmittelbar durch den Scheidungsprozess veranlasste Kosten als außergewöhnliche Belastungen eindeutig ist. Vielmehr liegt die Situation vor, dass die Rechtsfrage in der Literatur unterschiedlich beantwortet wird, eine ständige Rechtsprechung der Finanzgerichte zu der Rechtsfrage noch nicht existiert und der BFH über die Rechtsfrage noch nicht entschieden hat. Dies führt dazu, dass die im angefochtenen Einkommensteuerbescheid berücksichtigte Auffassung des Antragsgegners, Scheidungsprozesskosten seien, von extremen Ausnahmefällen abgesehen, ab dem Veranlagungszeitraum 2013 nicht mehr als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig, ernstlich rechtlich zweifelhaft im Sinne des § 69 FGO ist. 23

Dementsprechend liegen die Voraussetzungen gem. § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO vor und die beantragte Aussetzung der Vollziehung ist zu gewähren, ohne dass der erkennende Senat im vorliegenden summarischen Verfahren entscheiden muss, wie er die streitige Rechtsfrage entscheiden würde. 24

Der erkennende Senat braucht im vorliegenden summarischen Verfahren auch nicht abschließend festzustellen, ob es sich bei den geltend gemachten Aufwendungen vollumfänglich um unmittelbar durch den Scheidungsprozess veranlasste Kosten oder teilweise um -nicht als außergewöhnliche Belastungen in Betracht kommende- Kosten im Zusammenhang mit sogenannten Scheidungsfolgesachen (Unterhalt, Umgang, Sorgerecht etc.) handelt. Aus den vorgelegten Rechnungen lassen sich hierzu keine hinreichenden Erkenntnisse für eine abschließende Beurteilung herleiten und die Beteiligten haben sich hierzu nicht geäußert. Da für eine Aussetzung der Vollziehung gem. § 69 FGO der Erfolg nicht wahrscheinlicher sein muss als der Misserfolg und sich aufgrund der vorliegenden Akten sowie des Vortrags der Beteiligten jedenfalls keine Anhaltspunkte aufdrängen, dass die Kosten teilweise auch im Zusammenhang mit sogenannten Scheidungsfolgesachen stehen, kommt bei summarischer Würdigung der Abzug der vollständigen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen gem. § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG ernsthaft in Betracht, mit der Folge, dass die Aussetzung der Vollziehung in vollem Umfang zu gewähren ist. Im Einspruchsverfahren wird die Klägerin hierzu jedoch noch weiter vorzutragen haben und der Antragsgegner wird diesbezüglich weitere Feststellungen treffen müssen.