Sonntag, 24. Juni 2012

Rechtsänderung beim Verbrauchsgüterkauf - bedenklich für die Praxis

Ein Beitrag für Jurastudenten einerseits und Händler andererseits.

Es ist immer wieder dasselbe Dilemma: wir gewöhnen uns an neue Rechtsregeln, dann kommt der Europäische Gerischtshof, und von einem Tag zum Anderen passt nichts mehr. Und das ohne ernsthafte Vorwarnung, wie wir es bei Gesetzgebungsverfahren haben.




Die Entscheidungen des EuGH vom 16.06.2011 Rs. C-65/09 und C-87/09 zur Frage des Umfang des Nacherfüllunganspruchs erhöhen das bis dahin bekannte Haftungsrisiko für Verkäufer, was aber in der Praxis noch nicht durch gedrungen ist. Auch Leiter und Manager dürften in ihrer BWL-Ausbildung noch das alte Recht im Kopf haben.

In einem Aufsatz vom April 2012 hat Christoph Werkmeister auf juraexamen.info das Thema anschaulich erörtert, weshalb ich auf den Artikel verweisen und um nachfolgende Anmerkungen ergänzen möchte:


Basiswissen:

In konkreten Fall geht es um die Gewährleistung beim  Verbrauchsgüterkauf, also um die Frage, was der Kunde im Rahmen der Nacherfüllung verlangen kann. Die Regeln wurden 2002 bei der großen BGB-Reform neu gefasst, dabei wurden auch europäische Richtlinien mit berücksichtigt.

Das führte zum einen zu dem Spezialthema "Verbrauchsgüterkauf" - also folgenden Fall: Gewerblicher Verkäufer verkauft an privaten Käufer (leicht vereinfacht ausgedrückt). Hier gibt es stärkere Rechte für den Käufer.
 
Neu geregelt oder eingeführt wurde außerdem der Nacherfüllungsanspruch. Während davor ein Käufer beim Entdecken von Mängeln das Recht hatte, statt Neulieferung (Umtausch) auch "Wandelung" (entspricht Vertragsrücktritt)  oder "Minderung" (also Kaufpreisreduzierung)  zu verlangen, hat seit 2002 der Käufer zunächst nur das Recht, eine Nacherfüllung des Kaufs zu verlangen, also Neulieferung einer mangelfreien Ware. Erst wenn dies scheitert, kommt der Käufer zu den nachrangigen Möglichkeiten von Rücktritt oder Minderung. Der Verkäufer hat also die Möglichkeit, nachzubessern.

Für den Laien mag dies reichen, der Jurastudent kennt die Feinheiten sowieso.

Die EUGH-Entscheidung und die neue Rechtslage

Der Käufer hatte Parkettboden bestellt und verlegen lassen. Es stellten sich feine Mikrorisse heraus, so dass die Platten herausgerissen und durch neue, mangelfreie ersetzt werden müssen.

Weder Verkäufer noch Käufer konnten die Mangelhaftigkeit kennen. Das würde nach unserem bisherigen Verständnis (und Gewährleistungssystem) zwar dazu führen, dass der Verkäufer neue und mangelfreie Parkettstäbe nachliefern muss, die Kosten für Ausbau der alten und Einbau der neuen Platten aber nicht übernehmen muss. Denn diese Kosten sind normalerweise Folgeschäden, und für Folgeschäden haftet der Verkäufer nur bei "Verschulden" (genauer: bei Vertretenmüssen), also wenn er bei Lieferung vom Mangel wusste oder den Mangel fahrlässig übersehen hat.

Dieses System galt im Grunde schon vor 2002, war in Einzelheiten umstritten und ist ab 2002 relativ verständlich formuliert worden (von einigen Restproblemen abgesehen).

Der EuGH war anderer Ansicht. Dabei spielte allerdings eine Rolle, dass es sich um einen Verbrauchsgüterkauf handelt -  ein B2C-Geschäft gewissermaßen (Business to Consumer, Unternehmer zu Privat). Für diesen Fall sahen die europäischen Richtlinien (genauer: die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) einen sehr starken Käuferschutz vor. Das wurde im Prinzip bei der Reform auch berücksichtigt, z.B. bei Fragen der Verjährung der Gewährleistungansprüch, Nichtänderbarkeit durch AGB usw.

Der EuGH argumentierte mit der Absicht der Richtlinie, einen starken Käuferschutz zu erreichen,  und glaubte deshalb, die deutsche Regelung anders auslegen zu müssen. Demnach gehören die Ein- und ausbaukosten praktisch zum Nacherfüllungsschaden. Die Herleitung ist dabei nicht so streng logisch und systematisch, wie es seit Platon (und Sokrates, Aristoteles, Thomas von Aquin und tausende anderer Naturwissenschaftler der letzten dreitausend Jahre) lehren, sondern etwas "salomonischer" begründet.

Was der EuGH dabei möglicherweise übersieht ist, dass er damit die Logik unseres Systems durchbricht.

Sachschaden oder Folgeschaden - oder: kann man heute noch Zement verkaufen?

Jetzt ist die Abgrenzung von Sachschaden (die Tatsache, dass er Käufer 1.300 Euro für Parkett gezahlt hat, die nichts oder weniger wert sind) und Folgeschaden (alle anderen Schäden, z.B. der Ein- und Ausbau, die Rechtsverfolgung, Gutachten uswl) wieder verwässert. Dabei hatte man 2002 endlich eine klare Regelung gefunden.

Zugegeben - die Ein- und Ausbaukosten sind nur ein  Teil der Folgeschäden. Weitere Folgeschäden könnten in einem solchen Fall auch Verdienstausfall (bei einem Geschäftsboden), Gutachterkosten, Rechtsverfolgungskosten etc. sein. Und, weiter zugegeben: das ganze scheint wohl nur für den Verbrauchsgüterkauf zu gehören.

Trotzdem: Woran soll sich der Richter und der Anwalt künftig orientieren? Und welchen Risikozuschlag muss der Händler in seine Preise künftig einkalkulieren? Wie sieht der Nacherfüllungsanspruch aus,  wenn die verkauften Bremsklötze (nichterkennbar) mangelhaft war und es zu einem Unfall kommt (hier wohl kaum ein Problem, da nur die Umbaukosten im Raum stehen, nicht die gesamten Unfallkosten, was aber erst mal eine intensive Auseinandersetzung mit dem EuGH-Verständnis erfordert)?  Wie ist es, wenn ein Hochhaus auf einem Betonsockel mit mangelhaften Zement gebaut wird?


Erdbeben in der juristischen Landschaft

Deshalb kam die EuGH-Entscheidung einem "Erdbeben in der juristischen Landschaft Deutschlands gleich", wie Werkmeister es formuliert,  und hatte einen Sturm divergierender Meinungen ausgelöst (vgl. nur Literaturnachweise bei juris). Wie so oft in den letzten Jahrzehnten, sei es im Arbeitsrecht, beim Bier-Reinheitsgebot oder im Berufsausbildungsrecht, immer wieder Überraschungen, die nicht so ganz unserem Rechtsdenken entspricht. Aber die EuGH-Entscheidung ist vorrangig.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Urteils und der Tatsache, dass die bisherige Rechtsprechung und das dogmatische Verständnis des BGH zu Teilen auf den Kopf gestellt wurde, sollte die Examensrelevanz nicht unterschätzt werden.

Ich verweise deshalb den Studierenden auf den Beitrag auf juraexamen.info, wo die die Problematik, insbesondere die ursprüngliche BGH-Rechtsprechung im Vergleich zum EuGH, anhand einer gutachterlichen Falllösung veranschaulicht werden: