Endlich. Der BGH hat eingegriffen. Mit URteil vom 26. Juli 2012. Es geht um Abzockeversuche, die so ähnlich wie bei Abo-Fallen funktionieren. Man ergattert eine Unterschrift für einen scheinbar kostenlosen Grundeintrag in irgendeinem Branchenverzeichnis - und berechnet dem Opfer dann 650 Euro pro Jahr. Bei genauerer Lektüre des Textes liest das Opfer dann, dass sich die Unterschrift nicht etwa auf den kostenlosen Basiseintrag, sondern auf ein kostenpflichtiges Abo bezieht. Aber der gesamte Text ist so gestaltet, dass man scheinbar nur den kostenlosen Basiseintrag unterschreibt.
Dies hat nur indirekt mit Internet zu tun. Das Schreiben kommt per Post, Sie sollen dann etwas unterschreiben und per Fax wegsenden. Dann sind Sie in irgendeiner (von tausend anderen) Internet-Datenbanken, die man natürlich "Branchenverzeichnis" nennt, obwohl es nichts mit gedruckten Verzeichnissen wie den Gelben Seiten zu tun hat. Der Preis ist völlig überhöht - Brancheneinträge in Internetdatenbanken gibt es wie Sand am Meer, in der Regel ist das heute kostenlos. 650 Euro im Jahr zu verlangen, ist wirklich abenteuerlich.
Aber es funktionierte bisher. Das erste mal sah ich ein solchen Schreiben vor etwa 10 Jahren. Ein Mandant, selbständiger Handwerker, brachte die Rechnung und das zugehörige Auftragsschreiben. Es war wirklich gut gemacht, auch ich musste genau lesen, um zu erkennen, dass nicht der Basiseintrag unterschrieben wird. Damals war die Rechtsprechung noch uneinheitlich, ja, eher wenig hilfreich. Damals war allerdings der kostenlose Eintrag noch nicht so selbstverständlich wie heute. Die Abzocker legten gleich mit der Rechnung Hinweise auf Urteile vor, bei denen die Richter zugunsten der Abzocker geurteilt hatten. Der Unterzeichner müsse halt nun mal lesen, was er unterschreibt.
Noch dazu sind die Opfer meist Selbständige, also helfen die gesetzlichen Schutzvorschriften des so genannten AGB-Rechts wenig weiter (früher im AGB-Gesetz, seit über 10 Jahren im BGB unter §§ 305 ff), denn die AGB-Schutzvorschriften gelten zu 90 Prozent nur für Privatleute, die sich gegen AGB wehren wollen.
Nur ein paar absolute Grundregeln gelten allgemein, also auch für Geschäftsleute. Dazu gehört der § 305c BGB, die so genannte Überraschungsregelung. Demnach dürfen in Allgemeine Vertragsbedingungen keine völlig überraschenden Klauseln versteckt werden, mit denen niemand rechnet.
Fiktives Beispiel: "Der Unterzeichner verpflichtet sich, für jeden Tag des Verzugs beim Bezahlen der Rechnung 10.000 Euro Vertragsstrafe zu zahlen".
Damit rechnet niemand. Ziel ist somit: auch als Selbständiger soll man AGBs blind unterschreiben können und sich darauf verlassen können, dass keine völlig abwegige Regelungen enthalten sind. Auf verschärfte Gewährleistungsregelungen etc. muss man sich aber einstellen, wenn man unbelesen unterschreibt.
Das ist der Hintergrund für die Problematik. Der BGH hat nun eine Entscheidung zu einem dieser Brancheneintrags-Fallen getroffen:
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass eine Entgeltklausel in einem Antragsformular für einen Grundeintrag in ein Branchenverzeichnis im Internet nach dem Erscheinungsbild des Formulars überraschenden Charakter hat und deshalb nicht Vertragsbestandteil wird (§ 305c Abs. 1 BGB*).
Die Klägerin unterhält ein Branchenverzeichnis im Internet. Um Eintragungen zu gewinnen, übersendet sie Gewerbetreibenden ein Formular, welches sie als "Eintragungsantrag Gewerbedatenbank…" bezeichnet. In der linken Spalte befinden sich mehrere Zeilen für Unternehmensdaten. Nach einer Unterschriftszeile, deren Beginn mit einem fettgedruckten "X" hervorgehoben ist, heißt es in vergrößerter Schrift: "Rücksendung umgehend erbeten" und (unterstrichen) "zentrales Fax". Es folgt die fett und vergrößert wiedergegebene Faxnummer der Klägerin.
Die rechte Seite des Formulars besteht aus einer umrahmten Längsspalte mit der Überschrift "Hinweise zum Ersteintragungsantrag, Leistungsbeschreibung sowie Vertragsbedingungen, Vergütungshinweis sowie Hinweis nach § 33 BDSG (Bundesdatenschutzgesetz)". In dem sich anschließenden mehrzeiligen Fließtext ist unter anderem folgender Satz enthalten:
"…Vertragslaufzeit zwei Jahre, die Kosten betragen 650 Euro netto pro Jahr…."
(natürlich nicht so schön hervorgehoben, wie hier im Artikel)
Der Angeschriebene füllte das ihm unaufgefordert zugesandte Formular aus und sandte es zurück. Die Klägerin trug das Opfer in das Verzeichnis ein und stellte dafür 773,50 € brutto in Rechnung.
Die Firma klagte den Betrag ein, nachdem das Opfer nicht zahlen wollte, und verlor in erster Instanz und zweter Instanz. Hier waren bereits die Richter der unteren Instanzen auf dem richtigen WEg.
Die Firma legte Revision ein, so dass die Rechtsfrage höchstrichterlich in dritter Instanz, beim BGH, geprüft werden konnte. Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Revision der Branchenbuchfirma zurückgewiesen.
Begründung:
Mit Rücksicht darauf, dass Grundeinträge in ein Branchenverzeichnis im Internet in einer Vielzahl von Fällen unentgeltlich angeboten werden, werde eine Entgeltklausel, die nach der drucktechnischen Gestaltung des Antragsformulars so unauffällig in das Gesamtbild eingefügt ist, dass sie von dem Vertragspartner des Klauselverwenders dort nicht vermutet wird, gemäß § 305c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil.
Im vorliegenden Fall machte bereits die Bezeichnung des Formulars als "Eintragungsantrag Gewerbedatenbank" nicht hinreichend deutlich, dass es sich um ein Angebot zum Abschluss eines entgeltlichen Vertrages handelte. Die Aufmerksamkeit auch des gewerblichen Adressaten wurde durch Hervorhebung im Fettdruck und Formulargestaltung zudem auf die linke Spalte gelenkt. Die in der rechten Längsspalte mitgeteilte Entgeltpflicht war demgegenüber drucktechnisch so angeordnet, dass eine Kenntnisnahme durch den durchschnittlich aufmerksamen gewerblichen Adressaten nicht zu erwarten war. Die Zahlungsklage sei daher zu Recht von den Vorinstanzen als unbegründet abgewiesen worden.
BGH Urteil vom 26. Juli 2012 - VII ZR 262/11
Vorinstanzen:
AG Recklinghausen - Urteil vom 24. Mai 2011 - 13 C 91/11
LG Bochum - Urteil vom 15. November 2011 - 11 S 100/11
Der Urteilstext ist noch nicht veröffentlicht, lediglich die
Pressemitteilung Auszug aus dem Gesetz:§ 305c BGB Überraschende und mehrdeutige Klauseln
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, werden nicht Vertragsbestandteil.
(2) ….
Hinweis für Jurastudenten, BWL-Studenten und sonst Interessierte:Dass der § 305c BGB auch bei Unternehmer-Kunden gilt, ist nicht selbstverständlich. Erst wenn man alle Paragraphen der §§ 305 ff BGB durchgelesen hat, stößt man in § 310 auf eine ganz wichtige Einschränkung: die Regelung über den persönlichen Anwendungsbereich. Demnach sind die wichtigsten Vorschriften der §§ 305 ff nicht anwendbar, wenn der Kunde kein Privatman ist.
§ 310 BGB
(1) § 305 Abs. 2 und 3 und die §§ 308 und 309 finden keine Anwendung auf Allgemeine Geschäftsbedingungen, die gegenüber einem Unternehmer, einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem öffentlich-rechtlichen Sondervermögen verwendet werden. ..... (geht weiter)
Erst wer diese Zusammenhänge durchgespielt hat, bekommt ein Gefühl dafür, inwieweit Unternehmer durch das AGB-Recht geschützt werden.