Mittwoch, 17. Juli 2019

Der Verspätungszuschlag in der Steuerfachausbildung (§ 152 AO)

Was früher ein kleines Kapitel im Fach Abgabenordnung war, ist wegen der Neuregelung ein komplexes Thema: der Verspätungszuschlag. Aber gerade wegen seiner Neuheit ist er sehr prüfungsverdächtig.

Die gängigen Aufsätze und Darstellungen fand ich für meine Schüler zu verwirrend und unzureichend. Hier ist der Versuch, das Thema systematisch aufzubereiten.

Der Verspätungszuschlag

Gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommt, kann oder muss ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden.

Das gilt auch für verspätete Abgabe von Steueranmeldungen (USt-Voranmeldung, Lohnsteueranmeldung), denn auch das sind Steuererklärungen (vgl. § 150 Abs. 1 S. 3 AO)

Der VZ soll zusammen mit der Steuer selbst festgesetzt werden (§ 152 Abs. 11). Er gehört zu den "steuerlichen Nebenleistungen" im Sinne von § 3 Abs. 4 AO.

Der VZ ist 2017 neu geregelt worden, wobei sich die Änderungen faktisch erst ab 2019 auswirken (zur Übergangsregelung siehe unten).

Die bisherige Fassung des § 152 AO (gültig für Steuererklärungen, die vor dem 1.1.2019 einzureichen waren) sah so aus:

Der VZ stand in einem doppelten Ermessen der Behörde. Sie konnte entscheiden, ob sie einen VZ erlässt und auch in der Höhe war sie frei - von einer Maximalregelung abgesehen. Der VZ durfte nämlich 10 % der zu zahlenden Steuer (oder des festge­setzten Messbetrages) nicht übersteigen und höchstens 25.000 Euro betragen (152 II AO a.F.). Innerhalb des jeweiligen Rahmens konnte die Behörde einen beliebigen Betrag wählen. 

Da eine der zwei Grenzen ein Prozentsatz der nachzuzahlenden Steuer war, konnte es auch nicht passieren, dass man bei Steuerbescheiden mit Null Steuer oder mit Steuerererstattung einen VZ bekam. Denn Null x 10% ergibt Null als Höchstbetrag. 

Die Neuregelung ist sehr komplex. Man kommt mit ihr klar, wenn man sie in drei Komplexe zerlegt:

§ 152 Abs. 1 bis 3:        Besteht ein Ermessen dem Grunde nach?
§ 152 Abs. 5 bis 10:       Regelungen zur Höhe
§ 152 Abs. 11 und 12:    formale Regeln.

Streng genommen gibt noch einen Absatz 13, der zur Regelung der Höhe gehört, aber kaum prüfungsrelevant ist.

1. Zuerst zu klären: Ermessen oder Pflicht?

§ 152 Absatz 1 bis 3 regeln, ob ein Ermessen dem Grunde nach besteht. Das betrifft die Frage, ob die Behörde überhaupt einen VZ festsetzt. Ob bei der Höhe ein Ermessen besteht, dafür gibt es eigene Regeln.

  • 152 Abs. 1: Ermessen
  • 152 Abs. 2 und 3: Pflicht (und wiederum Ausnahme von Pflicht)

§ 152 Absatz 1 scheint vom Wortlaut zunächst für alle Steuererklärungen zu gelten und sieht einen VZ im Ermessen der Behörde vor. Da aber Absatz 2 den Absatz 1 relativiert, muss zuerst geprüft werden, ob ein Fall von Absatz 2 vorliegt - und wenn ja, ob eine Ausnahme nach Absatz 3 greift.

§ 152 Absatz 2:

In den meisten ausbildungsrelevanten Fällen greift zunächst der § 152 Absatz 2. Der verdrängt das Ermessen und macht den VZ zur Pflicht, wenn es sich z.B. um Jahressteuererklärungen handelt (Einkommensteuererklärung, die Körperschaftsteuererklärung, die Gewerbesteuererklärung und die Jahres- Umsatzsteuererklärung)

Zusätzlich muss aber hinzukommen, dass die Abgabe nicht einfach nur verspätet, sondern mehr als 14 Monate nach dem betreffenden Kalenderjahr abgegeben wird (also NICHT 14 Monate nach dem fälligen Abgabetermin!)

Beispiel: ESt-Erklärung für 2018 wird erst nach dem Februar 2020 abgegeben. Dann sind die 14 Monate überschritten. Sofern keine Ausnahme nach Absatz 3 greift, besteht eine Pflicht zur Festsetzung eines VZ.

Die 14 Monate beginnen nicht mit dem fälligen Abgabetermin, sondern mit dem Veranlagungsjahr. Im Falle der steuerlichen Beratung deckt sich die 14-Monatsfrist  mit der Fälligkeitsüberschreitung, weil die Abgabe Ende Februar 2020 fällig war, im Falle fehlender steuerlicher Beratung, wo Abgabefrist der 31.7.2019 war, braucht es eben eine zusätzliche Verzögerung bis Ende Februar 2020

§ 152 Absatz 3:

Absatz 3 regelt Ausnahmen von der Pflicht, so dass wieder das Ermessen nach Absatz 1 übrigbleibt. Lesen Sie den Gesetzestext. Interessant sind hier die Nummern 2 und 3.

Nummer 2 betrifft Fälle, bei denen die festgesetzte Steuer Null oder negativ ist. Nummer 3 betrifft Fälle, bei denen zwar eine Steuer festzusetzen wurde, aber nach Abzug von Vorauszahlungen und Lohnsteuer effektiv keine Zahlungspflicht bestand.

In diesen Fällen bleibt aber immer noch ein Ermessen, die das FA z.B. ausüben kann - und soll, zum Beispiel wenn der Steuerpflichtige Wiederholungstäter ist.

Das ist eine Verschärfung zu früher: denn wenn sich das FA zu einem VZ entschließt, gibt es bei der Berechnung einen Mindestsockel von 25 Euro pro Monat zu beachten. Der ist neu. Früher war wegen der 10-Prozent-Höhenschranke effektiv kein VZ möglich, denn Null Steuerzahllast x 10% war Null. Im Gegensatz zu früher kann auch bei einem Nullbescheid ein VZ erfolgen.


2.) § 152 Absatz 5 bis 10: Höhe des Verspätungszuschlags

Einerlei, ob sich der VZ aus einer Pflicht oder aus einer Ermessensentscheidung ergibt: die Höhe wird künftig über die Absätze 5 bis 10 geregelt. Wichtig sind Abs. 5 und 8, sowie die gemeinsame Höchstregelung in Absatz 10. Vereinfachte Übersicht:

  • Absatz 5 betrifft normale Steuerbescheide, die keine Anmeldungen sind -> Formel
  • Absatz 8 betrifft Steueranmeldungen (LSt,-Anmeldung, USt-Voranmeldung) -> Ermessen
  • Absatz 10 enthält als gemeinsame Regelung einen Maximalbetrag von 25.000 Euro.

Man muss sich also erst überlegen, welche Art von Steuererklärung vorliegt und nicht voreilig den Absatz 5 anwenden. Der gilt vom Wortlaut her scheinbar generell; wegen der Ausnahmeregelung in Absatz 8 gilt er aber nicht für monatliche oder vierteljährliche Steueranmeldungen (vgl. § 150 Abs. 1 S. 3 AO) und auch nicht für die jährliche LSt-Anmeldung. Also ist er nur für sonstige Steuererklärungen anwendbar

a) Regelung in Absatz 5:

Liegt eine normale Steuererklärung vor, ist also Absatz 5 anwendbar, gibt es im Gegensatz zu früher eine exakte Berechnungsformel und einen Mindestsockel. Es gilt entweder die Formel in Satz 2 (für Jahressteuererklärungen) oder die Formel in Satz 1 (auch hier darf man also nicht vorschnell Satz 1 anwenden, sondern muss die Ausnahme in Satz 2 beachten).

Für die ausbildungsrelevanten Steuererklärungen (ESt, KSt, GewSt) gilt also Satz 2 (der in Aufsätzen oft als einzige Regelung zitiert wird). Vereinfacht ausgedrückt, sieht die Formel so aus:

Angefangene Verspätungsmonate x 0,25 % x Zahlungsbetrag, mindestens mal 25 Euro pro Monat.

Mit Zahlungsbetrag meine ich hier die festgesetzte Steuer abzüglich Vorauszahlungen, LSt etc.

Nur leicht abweichend ist die Regelung in Satz 1 für sonstige Steuererklärungen. Hier ist der Mindestsockel nur 10 Euro, und Bemessungsgrundlage ist nur die festgesetzte Steuer (nicht der Zahlungsbetrag):

Angefangene Verspätungsmonate x 0,25 % x festgesetzte Steuer, mindestens mal 10 Euro pro Monat.

Zusätzlich zur Regelung muss Absatz 10 beachtet werden, der als Obergrenze einen Maximalbetrag von 25.000 Euro vorsieht.


Fallbeispiel für ESt-Erklärung ohne steuerliche Berater;

Abgabepflicht für VZ 2018 für den Steuerpflichten S war 31.07.2019, tatsächliche Abgabe war 15.10.2019. Der Steuerbescheid ergab nach Abzug von Vorauszahlungen einen Zahlungsbetrag von 8.000 Euro. Das FA entschließt sich zu einem Verspätungszuschlag (da 14 Monate noch nicht überschritten war, lag noch Ermessen vor). Höhe?

Die Verspätung betrug (gerechnet ab dem 1.8.2019) zwei Monate und 15 Tage; das sind aufgerundet 3 Verspätungsmonate (angefangene Monate zählen auch, daher Aufrundung).

Berechnung: 3 Monate x 0,25 % x 8.000 Euro (max 25.000 Euro) = 60 Euro

(So etwa sollte das in einer Prüfungslösung stehen)

b) Regelung in Absatz 8

In diesen Fällen hat die Behörde schlicht und einfach ein Ermessen bezüglich der Höhe, kann also ohne Berechnung einen angemessenen Betrag festsetzen.

Auch hier gilt aber die Obergrenze in Absatz 10, also 25.000 Euro.

Übergangsregelung und Altfälle

Der aktuelle Gesetzestext von § 152 gilt nicht für Altfälle. Also auch wenn wir das Jahr 2019 oder später haben, kann die Behörde nicht automatisch den aktuellen Gesetzestext anwenden, wenn es einen Bescheid erlässt und eine verpätete Abgabe der Steuererklärung im Raum steht - es könnte sich z.B. um die ESt-Erklärung für VZ 2017 handeln, wo noch die alte Fassung anzuwenden ist.

Die so genannte "Übergangsregelung" , aus der sich das ergibt, ist sehr versteckt in Abschnitt 117 des AEAO (Anwendungserlass zur AO) und lautet:
Für Steuererklärungen, die vor dem 1.1.2019 einzureichen sind, und Umsatzsteuererklärungen für den kürzeren Besteuerungszeitraum nach § 18 Abs. 3 Satz 1 und 2 UStG, wenn die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit in 2018 endet, ist § 152 AO in der am 31.12.2016 geltenden Fassung (§ 152 AO a. F.) weiterhin anzuwenden (Art. 97 § 8 Abs. 4 Satz 3 EGAO). § 152 AO i. d. F. des StModernG (§ 152 AO n. F.) ist zwar am 1.1.2017 in Kraft getreten, ist aber erstmals für Steuererklärungen anzuwenden, die nach dem 31.12.2018 abzugeben sind; eine Verlängerung der Steuererklärungsfrist ist hierbei nicht zu berücksichtigen (Art. 97 § 8 Abs. 4 Satz 1 und 2 EGAO).



Verspätungszuschlag und Säumniszuschlag

Der Verspätungszuschlag ( für die verspätete Abgabe der Steuererklärung) darf nicht verwechselt werden mit dem Säumniszuschlag nach § 240 AO (für verspätete Zahlung einer fälligen Steuerschuld).



Der Verspätungszuschlag bei einer Steueranmeldung

Auch eine Steueranmeldung ist eine Steuererklärung. Die verspätete Abgabe der USt-Voranmeldung kann also einen Verspätungszuschlag auslösen.

Fallbeispiel aus einer Abschlussprüfung:

Der Steuerpflichtige Leo Löwe muss seine USt-Voranmeldung monatlich abgeben und hat keine Dauerfristverlängerung beantragt. Er übersendet seine UST-VA für Februar 2011 erst am 20. April und zahlt am selben Tag bar. Können steuerliche Nebenleistungen festgesetzt werden?

Antwort: Ja, nämlich ein Verspätungszuschlag nach § 152 AO. Die UStVA ist eine Steuererklärung (§ 150 (1) 3 AO; auch hier gilt der § 152 AO.

(diese Antwort gilt auch noch nach der aktuellen Reform)