Zur Umsetzung der so genannten Warenkaufrichtlinie der EU hat der Gesetzgeber im Laufe des Jahres 2021 Änderungen im BGB beschlossen. Es stellt sich die Frage, welche der vielen Änderungen für die Ausbildung relevant sind. Eine Anpassung des Lehrbriefs des FLE ist in Arbeit. Folgende Ausführungen richten sich an Dozenten.
Einführung eines neuen Vertragstyps: Verbrauchervertrag über digitale Produkte (§ 327 ff); dazu gehören rein digitale Produkte (digitale Inhalte oder Dienstleistungen wie Software, Apps, WEbinare Streamingdienste) sowie Waren, die mit digitalen Elementen verbunden sind (§ 327a BGB, z.B. Smartphone, Smart-Haushaltsgerät, Smart-Uhr in Verbindung mit App).
Es muss aber ein Verbrauchervertrag sein, mit Unternehmern (§ 14 BGB) auf der einen Seite und "Verbrauchern" (= Private, siehe § 13 BGB) auf der anderen Seite. Die Rechte und Pflichten inklusive der Mangelhaftung sind in § 327 ff BGB geregelt
Der "Verbrauchervertrag über digitale Produkte" muss nicht notwendig ein Kaufvertrag sein,. Wenn dies aber der Fall sein sollte, spricht das Gesetz in § 475a BGB von einem "Verbrauchsgüterkaufvertrag über digitale Produkte" und regelt dort auch, inwieweit die normalen Kaufrechtsregeln von den §§ 327ff verdrängt werden.
Somit ergibt sich künftig bei Verbraucherkaufverträgen:
Kaufvertrag über (analoge) Waren (§ 434 BGB n.F.),
dem Kaufvertrag über "digitale Produkte" (§327b BGB, § 475a BGB),
dem Kaufvertrag über "Waren mit digitalen Elementen" (künftig geregelt in § 327a BGB n.F.), z.B. Smartphone, Smart-TV
Die einzelnen Regelungen sind zu speziell, um prüfungsrelevant zu sein. Trotzdem muss der neue Typus als solcher erwähnt und bekannt gemacht werden, da an vielen anderen Stellen darauf Bezug genommen wird (z.B. beim Gewährleistungsrecht).
Neuer Sachmangelbegriff
Der Sachmangelbegriff ist in§ 434 BGB komplett neu definiert worden, um der Warenkaufrichtlinie gerecht zu werden. Inhaltlich hat sich nicht wirklich viel geändert, jedenfalls nicht was das Ausbildungsrelevante betrifft. Nach wie vor gilt, dass Beschaffenheitsvereinbarungen zu prüfen sind, Eignung für einen speziell vereinbarten Gebrauch, ferner die Eignung für gewöhnliche Verwendung bzw. die für solche Waren übliche Beschaffenheit, ordentliche Montageanleitung etc. Auch weiterhin fallen Zuweniglieferungen unter den Mangelbegriff (jetzt aber in § 434 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2) und die in Prüfungen beliebte aliud-Lieferung (jetzt in § 434 Abs. 5 BGB, nach Ansicht von Fachleuten aber zusätzlich durch § 434 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 gedeckt)
Das Gesetz trennt die schon bisher verwendeten Kriterien in subjektive und objektive Kriterien
subjektiv (§ 434 Abs.2 BGB): vereinbarte Beschaffenheit, oder Vereinbarung über Eignung für einen bestimmten Verwendungszweck, vereinbartes Zubehör/Anleitungen
objektiv (§ 434 Abs. 3 BGB): Eignung für den gewöhnlichen Zweck, erwartbare übliche Beschaffenheit unter Berücksichtigung der Werbung, Übereinstimmung mit Proben und Mustern, Erfüllung der üblichen Erwartungen an Montageanleitungen und Zubehör.
Es gibt einige Feinheiten in der Neuformulierungen, die aber nicht ausbildungsrelevant sind, jedoch in der Praxis starke Auswirkungen haben können. Zum Beispiel: die einzelnen Bedingungen für sachmangelfreie Lieferungen sind z.B. jetzt nicht mehr staffelweise zu prüfen, sondern sie müssen alle gleichzeitig erfüllt sein.
Bisher prüfte man zuerst, ob eine Ware eine speziell vereinbarte Eigenschaft hat. War dies erfüllt, ist die Ware mangelfrei. War keine Eigenschaft vereinbart, prüfte man, ob beim Kauf ein Verwendungszweck vereinbart war (z.B. Estrichzement, geeignet für eine Garage). War das erfüllt, musste man ebenfalls nicht weiter prüfen. Wurde nichts spezielles vereinbart, dann waren weitere Kriterien zu prüfen, die jetzt "objektive Kriterien" genannt werden (z.B. übliche Beschaffenheit bei Waren dieser Art).
Jetzt aber wird nicht mehr hintereinander geprüft, es müssen vielmehr alle Kriterien für die Mangelfreiheit erfüllt sein. Es reicht also nicht, wenn der Gegenstand eine speziell vereinbarte Eigenschaft hat oder für einen Verwendungszweck geeignet ist, wenn er dann von der "üblichen Beschaffenheit" abweicht .
Das wird beim Verkauf von gebrauchten Sachen, Vorführgeräten oder B-Ware zu einer strengeren Haftung führen - letztlich muss der Verkäufer ausdrücklich auf üblichen Gebrauchsspuren, fehlende Teile, Kratzer und alle sonstigen Abweichungen von der üblichen Beschaffenheit hinweisen.
Aber die Feinheiten des Sachmangelbegriffs (von aliud-Lieferungen abgesehen) waren bisher sowieso nie Prüfungsgegenstand.
Im Rahmen der Reform wurde die in § 434 geregelte Liste möglicher Mangelfälle durch § 475b BGB um weitere Punkte beim Kauf digitaler Produkte erweitert (z.B. kann die Sache nachträglich mangelhaft werden, weil keine Updates zur Verfügung gestellt werden). Auch dieser Punkt dürfte kaum prüfungsrelevant sein.
In bisherigen Prüfungen wurde wiederholt eine aliud-Lieferung als Sachmangel-Aufhänger benutzt. Aliud und Zuweniglieferungen wurden bisher im alten Absatz 3 genannt:
"Einem Sachmangel steht es gleich, wenn der Verkäufer eine andere oder eine zu geringe Menge liefert"
Die beiden Fälle sollen auch weiterhin gelten.
Die Aliud-Lieferung wird jetzt im neuen Absatz 5 erwähnt: "Einem Sachmangel steht es gleich, wenn der Verkäufer eine andere Sache als die vertraglich geschuldete Sache liefert." (nach Ansicht von Fachleuten hätte sich das aber auch schon über Absatz 2 Nr. 1 ergeben, aber ein Prüfling zitiert aber am besten nur den Absatz 5). Bei alten Prüfungen ändert sich also nicht viel, außer dass beim Zitieren der einschlägigen Vorschrift künftig der § 434 Absatz 5 (statt Absatz 3) genannt wird.
Die Zuwenig-Lieferung ergibt sich jetzt aus Absatz 2 Nr. 1 in Verbindung mit Absatz 2 Satz 2: die Menge gehört zur Vereinbarung der "Beschaffenheit" und somit liegt eine Abweichung von der vereinbarten Beschaffenheit vor.Für digitale Produkte gibt es im neu eingeführten Abschnitt der §§ 327 ff BGB ein eigenes Gewährleistungsrecht ab § 327d BGB.
Alle folgenden Punkte gelten nur für Verbraucherkaufverträge, also im B2C-Bereich.
Verlängerung der Beweislastumkehr
Der Sachmangel muss bekanntlicherweise schon bei Lieferung vorliegen, was im Bestreitensfall der Käufer beweisen muss. Schon bisher sorgte § 477 BGB dafür, dass speziell bei Verbraucherkaufverträgen eine sechsmonatige Beweislastumkehr eintritt. Diese Frist in § 477 BGB wurde nun auf 1 Jahr verlängert.
Anmerkung: dass § 477 BGB (ebenso wie alle anderen Regelungen von § 474 bis § 479) nur für Verbraucherkaufverträge gilt, ergibt sich aus der abschnitteinleitenden Regelung in § 474 BGB.
Wegfall der Fristsetzung - oder besser: Erleichterter Übergang zu Sekundäransprüchen
Die Trennung von primären und sekundären Gewährleistungsansprüchen war eine Neuerung bei der Schuldrechtsreform 2002 und ist in den letzten Jahren bei Fachwirtprüfungen zunehmend geprüft worden.
Zuerst bestehen nur Ansprüche auf Nacherfüllung, erst bei erfolgloser Fristsetzung (und ein paar anderen Fällen) kann man übergehen zu den zusätzlichen Rechten "Rücktritt", "Minderung" und "Schadenersatz statt der Leistung" .
Das ergibt sich aus dem Rücktrittsrecht, genau genommen aus § 323 BGB. Dort wird Fristsetzung verlangt und ein paar Ausnahmen angezeigt. Der Ausnahmekatalog wird dann noch (speziell für Kaufverträge) in § 440 erweitert (verweigerte oder fehlgeschlagene Nachbesserung). Und weil die Minderung von der Rücktrittsmöglichkeit abhängt (siehe § 441 BGB) gilt das alles auch für die Minderung.
Vor 2002 konnte man sofort mindern oder zurücktreten, seit 2002 geht das nur noch ausnahmsweise.
An der Zweistufigkeit ändert sich nichts. Nach wie vor müssen die Voraussetzungen (oder Ausnahmen) in § 323 BGB vorliegen.
Allerdings gibt es eine Neuerung für Verbraucherkaufverträge:
Hier muss der Käufer nur den Mangel anzeigen, ohne dass er dabei eine Frist setzen muss. Diese Mangelanzeige löst eine (fiktive) "angemessene Frist" aus, und wenn nicht innerhalb dieser angemessenen Frist eine Nacherfüllung geschieht, kann der Käufer zurücktreten, mindern oder Schadenersatz statt der Leistung verlangen.
Die Mangelanzeige (mitsamt zugehörigen Fristablauf) ist also eine weitere Ausnahme vom Erfordernis der Fristsetzung.
Dies findet man in dem völlig neuen§ 475d Nr.1 BGB, der noch weitere Ausnahmen regelt.
Auch diese Regelung gilt NUR für Verbraucherverträge, also nicht im B2B-Bereich oder beim Verkauf Privat an Privat,
Weitere Erleichterungen für den Rücktritt (bzw. der Sekundäransprüche)
Bisher waren die Ausnahmen von der Fristsetzung in § 323 selbst und zusätzlich (für kaufrechtliche Gewährleistungsfälle) in § 440 BGB genannt. Jetzt haben wir noch mehr Ausnahmen in § 475d BGB, speziell für Gewährleistung bei Verbraucherkaufverträgen.
Einen habe ich oben schon genannt: die bloße Mängelanzeige. Ein Blick in die anderen Nummern des § 475d zeigt weitere Ausnahmen, die sich leider zum Teil mit den Ausnahmeregelungen überschneiden, was es für Lehrbuchautoren und Dozenten künftig extrem schwer macht, den Stoff übersichtlich zusammen zu fassen.
Der Abschnitt im Lehrbrief RECHT auf Seite 66 könnte also wie folgt geändert werden:
Es gibt somit insgesamt gesehen folgende Fälle, in denen sofort (und ohne Fristsetzung) auf die Sekundäransprüche gewechselt werden kann:
Erfüllungsverweigerung: Verkäufer verweigert beide Arten der Nacherfüllung (§ 440 i.V.m. § 323 BGB, für Verbraucherkaufverträge gemäß § 475d Nr. 2 BGB)
Die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung ist ihm unzumutbar (§ 440 i.V.m. § 323 BGB)
Die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung schlägt fehl (Scheitern der Nachbesserung), § 440 BGB (bei Verbraucherkaufverträge modifiziert durch § 475d Nr. 2 BGB - dort reicht künftig grundsätzlich auch ein einmaliger Reparaturversuch, während § 440 in der Regel von zwei Reparaturversuchen ausgeht)
ferner: wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen (§ 440 i.V.m. § 323 Abs. 2 Nr. 3
speziell für Verbraucherkaufverträge: wenn ein Mangel derart schwerwiegend ist, dass der sofortige Rücktritt gerechtfertig ist § 475d Nr. 3 BGB)
bei Verbraucherkaufverträgen nach Ablauf einer angemessenen Frist nachdem der Käufer den Mangel gemeldet hat (§ 475d Nr. 1 BGB)
bei Verbraucherkaufverträgen, wenn sich trotz einer versuchten Nacherfüllung ein Mangel zeigt , § 475d Nr. 2 BGB
bei Verbraucherkaufverträgen, wenn die Unternehmer die ordnungsgemäße Nacherfüllung verweigert
bei Verbraucherkaufverträgen, wenn es nach den Umständen offensichtlich ist, dass der Verkäufer nicht ordnungsgemäß nacherfüllen wird (§ 475d Nr. 5)
Tipp: Schüler sollten sich neben dem § 437 Nr. 2 BGB (dort beginnen die Sekundäransprüche) als Stütze für den Übergang zur zweiten Stufe zusätzlich notieren: §§ 323(1)(2), 475d BGB
Mangelkenntnis als Haftungsausschluss
Bisher kaum prüfungsrelevant war die Regelung, dass die Mangelkenntnis die Gewährleistung ausschließen könnte, § 442 BGB. Dies gilt für Verbraucherkaufverträge künftig nicht mehr. Dieser neue Ausschluss des § 442 findet sich versteckt in § 475 Abs. 3 Satz 2 BGB.
Zusammen mit der Neuformulierung des Sachmangelbegriffs ergibt sich, dass der Verkäufer bei gebrauchten Sachen auf die Abweichungen (Gebrauchsspuren, Kratzer, sonstige Schäden) ausdrücklich hinweisen muss, selbst wenn der Käufer bei Besichtigung die offenbaren Mängel gesehen hat. Und der Hinweis muss dokumentiert werden. Insbesondere im Onlinehandel ergeben sich deutliche Auswirkungen - so müssen dort z.B. ankreuzbare Check-Boxen mit Hinweis auf die Beschaffenheitsabweichungen eingearbeitet werden, vorbelegte Check-Boxen sollen dabei nicht reichen, weil dem flüchtigen Leser sonst der Hinweis entgeht. Aber es ist ersichtlich, dass diese Neuerungen trotz der enormen Praxisauswirkungen wohl kaum Gegenstand einer Klausur sein werden.
Weitere Rechtsänderungen
Es gibt natürlich noch weitere Rechtsänderungen im Kaufrecht wie erleichterte Kündigungsmöglichkeiten bei Verbraucherverträgen, Ablaufhemmungen bei der Gewährleistungsfrist, Updateverpflichtungen bei digitalen Produkten, Änderungen beim Lieferantenregress etcetera. Die sind so speziell, dass sie nicht ausbildungsrelevant erscheinen.
Amtliche Begründung
Wer Hilfe zum Verständnis der neuen Gesetzestexte sucht, findet sie am Genauesten in der so genannten "amtlichen Begründung" des Gesetzgebers, und zwar hier: Drucksache 19/27424 des Bundestags ab Seite 22 unten :
https://dserver.bundestag.de/btd/19/274/1927424.pdf
Annex: Gewährleistung bei digitalen Produkten
Für digitale Produkte gibt es im neu eingeführten Abschnitt der §§ 327 ff BGB ein eigenes Gewährleistungsrecht ab § 327d BGB..
Ein digitales Produkt ist nach § 327d BGB vertragsmäßig, wenn es frei von Produkt- (§ 327e BGB) und Rechtsmängeln (§ 327g BGB) ist. Produktmangelfreiheit setzt voraus, dass das digitale Produkt den subjektiven Anforderungen, den objektiven Anforderungen und den Anforderungen an die Integration genügt. Wenn das digitale Produkt mangelhaft, ist kann der Verbraucher nach § 327i BGB, wenn die Voraussetzungen der jeweiligen Vorschriften vorliegen, folgende Rechte geltend machen:
nach § 327l BGB Nacherfüllung verlangen,
gemäß § 327m Abs. 1-2 und 4-5 BGB den Vertrag beenden oder nach § 327n BGB den Preis mindern und
nach § 280 Abs. 1 BGB oder § 327m Abs. 3 BGB Schadensersatz bzw. gemäß § 284 BGB Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen.
Zusätzlich gilt für "Waren mit digitalen Elementen" (Smartphone, Smart-Watch etc):
Beim Verbrauchsgüterkauf von Waren mit digitalen Elementen (alsoWaren, die in einer Weise digitale Produkte enthalten oder mit ihnen verbunden sind, dass die Waren ihre Funktionen ohne die digitalen Produkte nicht erfüllen können, § 327a Abs. 3 S. 1 BGB) – bestehen nach § 475b BGB respektive § 475c BGB erhöhte Anforderungen an eine Mangelfreiheit.