Sonntag, 6. August 2017

UWG in Prüfungsaufgaben aus Sicht von Dozenten und Aufgabenerstellern

Das ist ein Beitrag, der sich nicht an Schüler, sondern an Dozenten und Aufgabenersteller richtet. Die Fragen sind:

  • Inwieweit kann man Fragen zum Wettbewerbsrecht in Abschlussprüfungen verwenden? Kann man dabei das Zitieren von Paragraphen aus dem UWG verlangen? 
  • Wie soll man als Dozent den Schüler auf solche Prüfungen vorbereiten

Das UWG konnte man 1990 noch ganz gut erklären. Auch einem Nichtjuristen. Dann kam die große Reform 2004, danach die erste Änderung in 2008, dann eine zweite Änderung in 2015.

In allen Fällen hat sich aus der Sicht eines Schülers, der nur Grundkenntnisse lernen soll, nur wenig geändert. Die in jahrzehntelanger Rechtsprechung erarbeiteten Fallgruppen (als Anwendungsfälle der Generalklauseln in den früheren §§1 und 3 UWG) gelten weitgehend immer noch, aber schon durch die Reform 2004 wurden die zugehörigen Paragraphen gründlich durcheinandergewirbelt. Das hat sich mit den Änderungen 2008 und 2015 verschlimmert.

Heute sind die verbliebenen Fallgruppen in verschiedenen Paragraphen oder in Nummern des "Anhangs" versteckt. Oft sind sie hinter sehr abstrakten Beschreibungen verborgen, manche sind gleichzeitig aus  einem Paragraphen als auch aus dem Anhang ableitbar. Auf alle Fälle ist aber eine mühsame Suche in dem explosiv angewachsenen Paragraphenwust des UWG notwendig.

Es stellt sich die Frage, ob man es  dem Schüler in Prüfungen zumuten kann. Wenn man das verneint, fällt auch in der Ausbildung die Notwendigkeit weg, dem Schüler die zugehörigen Fundstellen zu erklären und einzutrichtern. Man kann sie angeben, damit der interessierte Schüler nachschlagen kann, aber es gehört nicht zum Lernstoff.



UWG in der unternehmerischen Praxis

Die Fallgruppen zu kennen, ist für Praktiker wichtig. Würde ich einen Vortrag für Selbständige oder für Fachleute aus der Werbung halten, würde ich mich völlig von der UWG-Struktur lösen und eben die wichtigsten Fallgruppen als solche vorstellen.
In den Unterlagen kann man die zugehörigen Paragraphen und Anhang-Nummern notieren, so dass der Praktiker später nachschlagen kann, wenn er sich näher damit befassen will. Aber eigentlich ist auch das sinnlos - als Praktiker muss man die Gefahrenquelle erkennen, sich dann bei der Rechtsabteilung oder dem Anwalt entsprechenden Rat einholen. Der befragte Jurist wiederum wird nicht nach Unterlagen gehen, die irgendwann in den letzten Jahren erstellt wurden - weil sich inzwischen schon wieder die Paragraphen geändert haben können. Er wird also die aktuelle Gesetze und Urteile prüfen.
Bis vor 2004 war  dieser "theoretische Teil" mit den Paragraphen aus Dozentensicht sowieso schnell erledigt. Die meisten Fallgruppen wurden nämlich aus der damals in § 1 UWG enthaltenen Generalklausel abgeleitet, oder, wenn es irgendwie um Irreführung ging, aus der Generalklausel im damaligen  § 3 UWG (irreführende Werbung).

Man musste die Fallgruppen einfach kennen. Es waren bekannte Anwendungsfälle der Generalklauseln, von der Rechtsprechung erarbeitet und  mit inoffiziellen Bezeichnungen betitelt (Koppelungsverbot, Lockvogelangebot, Werbung mit Selbstverständlichkeiten usw.).


UWG für Schüler

Soweit man Kaufleute oder Wirtschaftsfachwirte unterrichtet, sollte auch dort ein Grundverständnis für das Wettbewerbsrecht bestehen. Zumindest die Wirtschaftsfachwirte sind angehende Praktiker, für die das Wissen relevant ist. Sie müssen später eine Ahnung haben, wo sie oder ihr Konkurrent sich in die Gefahr unlauteren Verhaltens begeben. Und sie müssen sich dann aktuellen Rat einholen.


Als ich 1990 meine Dozententätigkeit begann, machte es mir Spaß, wenn ich in einem Kurs oder Ausbildung auch über Wettbewerbsrecht sprechen konnte, egal, wer die Zielgruppe war. Spätestens mit der Reform 2004 hat sich diese didaktische  Freude deutlich gemildert. Eigentlich wollte man mit der Reform inhaltlich keine große Änderung erreichen - die alten Fallgruppen sollten weitergelten, viele davon bekamen eine ausdrückliche Regelung im UWG. Eine Hilfestellung für den Richter also

Das wurde aber so verwirrend umgesetzt, dass sowohl Juristen als auch Praktiker mit den alten Kommentaren und Handbüchern besser wegkamen. Die komplette Umgestaltung der Paragraphen im UWG, in denen die alten Fallgruppen weiterleben sollten, war kein Fortschritt für die Praxis, half allenfalls dem Richter bei der Fallentscheidung.

Und die Änderungsgesetze  2008 und 2015 haben das verschlimmert. Über den Umnummerierungswahnsinn und dessen unglückliche Auswirkung  für jeden, der zu einem Wettbewerbsproblem recherchiert, hatte ich bereits einen Blogbeitrag anlässlich der Reform 2015 erstellt


Beispiel Unterscheidung B2C und B2B

Allein die Aufteilung des Gesetzes in B2B und B2C-Fälle ist für den Suchenden verwirrend. Muss das ein Schüler wirklich wissen? Ist das nicht etwas für den Richter oder den Juristen? 
So sieht der Aufbau der Paragraphen im UWG ab 2016 aus:

§ 3 Abs. 1 - Generalklausel für B2B-Bereich (Auffangtatbestand)
§ 3 Abs. 2 - Generalklausel für B2C-Bereich (Auffangtatbestand)

Spezialtatbestände, die vorrangig zu prüfen sind

§ 3 Abs. 3 iVm der Anlage zu § 3  (B2C)
§ 3a Rechtsbruch (B2C und B2B)
§ 4 Mitbewerberschutz (B2B)
§ 4a Aggressive geschäftliche Handlung (B2C und  B2B)
§ 5 Irreführende geschäfltliche Handlungen (gilt auch für B2B)
§ 5a Irreführung durch Unterlassen
§ 6 Vergleichende Werbung
§ 7 Unzumutbare Belästigung

Einzelbeispiele

Schleichwerbung findet man
  • unter § 5a Abs. 6 UWG (gilt übergreifend) 
  • und Nr. 11 der Schwarzen Liste (Anhang zu § 3) (gilt speziell für redaktionelle Werbung)


Lockvogelangebote werden als irreführende Werbung i.S.v. § 5 UWG eingestuft. Außerdem gibt es auch eine ausdrückliche Regelung in der Schwarzen Liste, also dem Anhang zu § 3, dort in Nr. 5. Es gibt also zwei Regelungen, auf die man sich berufen kann
  • § 3 Abs.3 iVm Anhang Nr. 5 (Lockvogelangebote)
  • § 5 Absatz 5 UWG (Irreführende Werbung)



Das Verbot der Schneeballssteme ist in zwei Vorschriften enthalten:
  • § 3 Abs. 3 iVm Nr. 14 der "Anhang zu § 3" (so genannte Schwarze Liste")
  • § 16 Abs. 2 UWG (dort wird aber nicht die Unlauterkeit festgestellt, sondern hier wird das Verhalten zusätzlich unter Strafe gestellt)

Gewinnspiele in Verbindung mit Absatz (Koppelungsverbot)

Das früher in dem UWG enthaltene Koppelungsverbot (§ 4 Nr. 6 a.F.) wurde bei der Reform 2015 ersatzlos aufgehoben, nachdem der BGH schon vorher die Unvereinbarkeit mit Europarecht feststellte. Grundsätzlich ist künftig eine Koppelung Absatz und Gewinnspiel erlaubt, sofern nicht besondere Umstände hinzukommen, die eine Unlauterkeit bewirken. 

Wer die alte Rechtslage kennt, weil er irgendwann in den letzten Jahren/Jahrzehnten vor 2015  Wettbewerbsrecht gelernt hat, wird bei der Suche erstmal verzweifeln. Denn er findet tatsächlich noch drei Nummern im "Anhang", bei denen der Begriff "Gewinnspiel" auftaucht -  aber dass das Koppelungsverbot grundsätzlich weggefallen ist und nur noch drei Spezialtatbestände in diesen drei Nummern geregelt werden, kann er nicht erkennen:

  • Nach Ziff. 16 des Anhangs absolut verboten ist die Angabe, durch eine bestimmte Ware oder Dienstleistung ließen sich die Gewinnchancen bei einem Glücksspiel erhöhen.
  • Im Zusammenhang mit Gewinnspielen ist nach Ziff. 17 des Anhangs außerdem die „unwahre Angabe oder das Erwecken des unzutreffenden Eindrucks unzulässig, der Verbraucher habe bereits einen Preis gewonnen oder werde ihn gewinnen, wenn es einen solchen Preis tatsächlich nicht gibt, oder wenn jedenfalls die Möglichkeit, einen Preis zu erlangen, von der Zahlung eines Geldbetrages oder der Übernahme von Kosten abhängig gemacht wird (verkürzte Wiedergabe von Nr. 17)
  • Nach Ziff. 20 des Anhangs ebenfalls absolut verboten ist das Angebot eines Wettbewerbs oder Preisausschreibens, wenn weder die in Aussicht gestellten Preise noch ein angemessenes Äquivalent vergeben werden. Was als Preis ausgelobt wird, muss also auch als Preis vergeben werden.

Plädoyer

Meines Erachtens sollten Wirtschaftsfachwirte die Fallgruppen des unlauteren Verhaltens kennen, aber ich plädiere dafür, auf das Zitieren der einschlägigen Vorschriften zu verzichten. Das sollte in Aufgaben nicht verlangt werden. Das sollte auch der Lehrplan explizit vorgeben, damit nicht Schüler und Dozenten  Zeit und Energie damit verschwenden, sich vorsorglich mit den einschlägigen Paragraphen zu beschäftigen.

Für andere Fachwirte und für Kaufleute ist das Wettbewerbsrecht etwas, wovon man gehört haben muss und dessen Grundzüge man kennen muss. Hier scheint es von vornherein unnötig, sich mit Anwendungsfällen zu beschäftigen.