Samstag, 13. August 2016

Die Rügelast des 377 HGB - Fehler in den IHK-Prüfungen

Bei den Prüfungen für den Technischen Betriebswirt tauchte in den letzten Jahren wiederholt die wichtige Vorschrift des § 377 HGB auf. Leider mit einem kleinen Mangel.

Sehen wir uns das Ganze an.

Normalerweise hat der Käufer eine Verjährungsfrist von 2 Jahren, um Sachmängel beim Kauf beweglicher Sachen gerichtlich geltend zu machen.

Ob er den Mangel gleich merkt und ihn zwei Jahre lang nicht gerichtlich durchsetzt, oder ob er den Mangel erst nach zwei Jahren bemerkt und es deshalb zu spät für eine Klage ist, ist unerheblich.

Hier herrscht schon ein Missverständnis bei vielen Laien. Die meinen oft, bei einem später entdeckten Mangel beginne die Verjährungsfrist erst bei Entdeckung zu laufen - das ist natürlich falsch.
Weiterhin ist unwichtig, wann der Käufer seine Ansprüche dem Verkäufer mitteilt, also im weiteren Sinne "geltend" macht. Bei der Verjährung geht es nur darum, dass nach Ablauf der Frist eine gerichtliche Geltendmachung unmöglich wird.

Es spielt ferner keine Rolle, ob es offene Mängel oder versteckte Mängel sind.

Offene Mängel sind Mängel, die man sozusagen "beim Hinsehen" sofort erkennen kann. Ist ein Mangel zwar vorhanden, aber bei der Übergabe oder Abnahme nicht erkennbar, spricht man von einem versteckten Mangel. 
Ein offener Mangel kann bei ordnungsgemäßer Untersuchung entdeckt werden. Wie genau der Käufer die Untersuchung vorzunehmen hat, richtet sich nach Tunlichkeit und Zumutbarkeit. Bei größeren Mengen sind Stichproben ausreichend - Man muss bei  einer Palette voller Waschmittelkartons nicht alle Waschmittel auf äußere Schäden überprüfen. Ist aber ein Karton voller Waren feucht oder aufgestoßen, wird unter Händlern erwartet, dass man den Inhalt näher untersucht.

Bei einem beiderseitigen Handelskauf, wenn also Verkäufer und Käufer Kaufleute sind, gibt es eine verschärfende Regelung im Handelsgesetzbuch: § 377 HGB, die berüchtigte "Rügelast des Kaufmanns".

Hier wird vom Käufer erwartet, dass er

a) die Kaufsache SOFORT auf OFFENE Mängel untersucht, und
b) die dabei entdeckten Mängel SOFORT dem Verkäufer mitteilt ("anzeigt", "rügt").

Sonst verliert er seine Gewährleistungsansprüche sofort und in vollem Umfang!


Das Gesetz spricht davon, dass die Kaufsache "als genehmigt gilt". Damit ist natürlich kein Raum mehr für die Gewährleistungsansprüche aus BGB. Nur für versteckte Mängel bleibt es bei der allgemeinen Rechtslage - diese können bis zwei Jahre ab Lieferung gerichtlich geltend gemacht werden können.

Der Käufer hat also eine Überprüfungs- und Rügelast. 
 Man liest manchmal auch "Überprüfungs- und Rügepflicht". Aber die Juristen nehmen es genauer und nennen es eine "Last" statt eine "Pflicht", weil der Käufer nicht wirklich verpflichtet ist, aber Nachteile hat, wenn er sich nicht so verhält.
Wo ist nun der Haken?

Diese harte Regelung gilt wirklich nur für den beiderseitigen Handelskauf. Es müssen sowohl Verkäufer als auch Käufer Kaufleute sein. Das ist z.B. der Fall, wenn auf beiden Seiten ein Unternehmen in Form einer  GmbH oder AG vorliegt, oder eine OHG, KG oder ein eingetragener Kaufmann.

In einigen vergangenen Prüfungen war dies von der Aufgabenstellung her nicht klar. Die Aufgabe war letztlich nicht eindeutig zu lösen, wenn auch erkennbar war, dass der Aufgabensteller wohl auf den § 377 HGB hinaus wollte.

Außerdem gibt es eine Aufgabe, bei der auch die Einschränkung auf offene Mängel übersehen wurde, und in der Aufgabe eher von einem versteckten Mangel die Rede war (defektes Laufwerk - etwas, was man erst beim Testen erkennen kann, also kein offener Mangel ist). Die Musterlösung argumentierte aber munter mit dem § 377 HGB.

Ich habe in der Praxis erlebt, dass auch Richter diesen Umstand nicht kannten und den Käufer zu einem völlig unvorteilhaften Vergleich überredeten.

Wie aber reagiert man als Prüfling, wenn die Aufgabenstellung entsprechend vermurkst ist und nicht erkennbar ist, ob beide Parteien Kaufleute waren? Indem man ausdrücklich unterstellt, dass ein beiderseitiger Handelskauf vorliegt und dann die Aufgabe entsprechend löst.