Donnerstag, 4. August 2016

Religion im Arbeitsrecht - darf Krankenhaus Chefarzt kündigen, weil er zweites Mal heiratet?

Das wird sogar bei Prüfungen in einfachen Ausbildungsberufen verlangt: die Sonderrechte der Kirche im Arbeitsrecht.

So heißt eine beliebte Prüfungsfrage:

 Darf in einem Bewerbungsgespräch (oder in einem Bewerbungsfragebogen) nach der religiösen Zugehörigkeit gefragt werden? Antwort: nein, außer bei Tendenzbetrieben, also Betrieben, die der katholischen oder evangelischen Kirche gehören (die Ausnahme muss genannt werden, sonst geht ein Punkt verloren)

Aber tiefer geht es erst bei Studenten, also Wirtschaftsjuristen oder Juristen. Da geht es dann darum, ob die Kirche einen Mitarbeiter auch kündigen kann, weil er z.B. aus der Kirche ausgetreten ist (Arzt, Sekretärin).

Noch haariger: Darf gekündigt werden, nur weil der Betreffende in Scheidung lebt oder ein zweites Mal geheiratet hat?  Der Mitarbeiter ist also weiterhin in der Kirche, verstößt aber gegen elementare Regeln der Kirche (in der Rechtsprechung werden diese Fälle "Loyalitätsverstoß" genannt)

Dass im Arbeitsrecht die Kirchen Sonderrechte haben, haben die Arbeitsgerichte wohl oder übel in den letzten Jahrzehnten einräumen müssen. Die Grenzen sind aber umstritten und werden zunehmend angegriffen und aufgeweicht. Zu Recht - was für einen Pfarrer gilt, muss das wirklich auch für eine Sekretärin, eine Krankenschwester, einen Krankenhausarzt gelten? 

Die evangelische Kirche sieht das mittlerweile ganz locker, die katholische Kirche spricht dann Kündigungen aus, wenn jemand in "leitender Stellung" wiederheiratet.


Hier gibt es eine spannende Entwicklung: Das BAG hat vor ein paar Tagen den Europäischen Gerichtshof angerufen um eine brennende Rechtsfrage zu klären - nämlich das Verhältnis Religion und Arbeitsrecht.

Das betrifft Tausende von Mitarbeitern in sozialen Einrichtungen, die von der Kirche getragen werden.


Im laufenden Prozess ging es um die Frage: darf ein Krankenhaus, dessen Träger die katholische Kirche ist, einen Chefarzt kündigen, weil er ein zweites Mal heiratet?

Der Chefarzt hat in allen drei Instanzen (Arbeitsgericht, Landesarbeitsgericht und Bundesarbeitsgericht) Recht bekommen, die Kündigung wurde als nichtig angesehen (juristischer Ansatz: Verstoß gegen § 1 KSchG, Sonderrechte der Kriche als "Tendenzbetrieb" wurden als nicht ausreichend angesehen.

Das BVerfG hat das BAG-Urteil vom 8.9.2011 aber kassiert und zurückverwiesen.

Das heißt nicht, dass es grundsätzlich falsch ist, sondern dass noch nach bestimmten Kriterien geprüft werden muss. Dazu gehört eine Auslegung des Europarechts.

Der BAG hat also das Verfahren erneut am Hals. Es setzte nun das Verfahren aus und rief den EuGH an, wie solche Konstallationen aus europarechtlicher Sicht zu sehen seien. Das ist der gegenwärtige Beschluss des BAG vom 28.7.2016. Entschieden ist dadurch noch nichts.




Das ist die Pressemitteilung zum Beschluss

BAG 28.7.2016, 2 AZR 746/14 (A)

EuGH-Vorlage: Ist die Kündigung des
Chefarztes eines katholischen Krankenhauses wegen Wiederverheiratung
sozial ungerechtfertigt?

Kündigung des Chefarztes eines katholischen Krankenhauses wegen Wiederverheiratung


Die Beklagte ist Trägerin mehrerer Krankenhäuser und institutionell mit
der römisch-katholischen Kirche verbunden. Der katholische Kläger war
bei ihr seit dem Jahr 2000 als Chefarzt beschäftigt. Den Dienstvertrag
schlossen die Parteien unter Zugrundelegung der vom Erzbischof von Köln
erlassenen Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher
Arbeitsverhältnisse vom 23. September 1993 (GrO 1993). Nach deren Art. 5
Abs. 2 handelte es sich beim Abschluss einer nach dem
Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe um
einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß, der eine Kündigung
rechtfertigen konnte. Die Weiterbeschäftigung war grundsätzlich
ausgeschlossen, wenn der Loyalitätsverstoß von einem leitenden
Mitarbeiter begangen wurde (Art. 5 Abs. 3 GrO 1993)*. Zu diesen zählen
nach kirchlichem Recht auch Chefärzte.
Der Kläger heiratete nach
der Scheidung von seiner ersten Ehefrau im Jahr 2008 ein zweites Mal
standesamtlich. Nachdem die Beklagte hiervon Kenntnis erlangt hatte,
kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30. März 2009
ordentlich zum 30. September 2009. Hiergegen hat sich der Kläger mit der
vorliegenden Kündigungsschutzklage gewandt. Er hat gemeint, seine
erneute Eheschließung vermöge die Kündigung nicht zu rechtfertigen. Bei
evangelischen Chefärzten bleibe eine Wiederheirat nach der GrO 1993 ohne
arbeitsrechtliche Folgen.
Die Vorinstanzen haben der Klage
stattgegeben. Das die Revision der Beklagten zurückweisende Urteil des
Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2011 - 2 AZR 543/10 - hat das
Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR
661/12 - aufgehoben und die Sache an das Bundesarbeitsgericht
zurückverwiesen.
Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat
mit Beschluss vom heutigen Tage entschieden, den Gerichtshof der
Europäischen Union nach Art. 267 AEUV um die Beantwortung von Fragen zur
Auslegung von Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des
Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für
die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG Nr. L 303 S. 16)
zu ersuchen. Für den Senat ist erheblich, ob die Kirchen nach dem
Unionsrecht bei einem an Arbeitnehmer in leitender Stellung gerichteten
Verlangen nach loyalem und aufrichtigem Verhalten unterscheiden dürfen
zwischen Arbeitnehmern, die der Kirche angehören, und solchen, die einer
anderen oder keiner Kirche angehören.**
Bundesarbeitsgericht
Beschluss vom 28. Juli 2016 - 2 AZR 746/14 (A) -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Urteil vom 1. Juli 2010 - 5 Sa 996/09 -
* Art. 5 der GrO wurde mit Wirkung zum 1. August 2015 neu gefasst.



Und das war das (jetzt neu zu beurteilende)
Urteil des BAG 2. Senats vom 8.9.2011 - 2 AZR 543/10 -

das aber eben noch nicht rechtskräftig ist, weil das BVerfG das Urteil kassiert hat und eine Neuentscheidung verlangt (mit Rückverweisung an das BAG, das jetzt den EUGH angerufen hat, wie es das Europarecht hier auslegen soll):
Hinweise für den Leser:
  1. "Kläger" ist der gekündigte Chefarzt, "Beklagte" ist das Krankenhaus bzw. die Kirche
  2. Der entscheidende Text findet sich ab Randnummer 38c. Bis dahin erklärt der BAG minutiös, dass tatsächlich ein Loyalitätsverstoß vorliegt, der eigentlich einen Kündigungsgrund nach § 1 KSchG darstellen kann. Ab dann aber geht es um die Interessenabwägung, die in § 1 KSchG erwähnt ist. Und hier ist der BAG der Ansicht, die Kündigung sei unverhältnismäßig


BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 8.9.2011, 2 AZR 543/10

Leitsätze

Auch bei Kündigungen wegen Enttäuschung der berechtigten Loyalitätserwartungen eines kirchlichen Arbeitgebers kann die stets erforderliche Interessenabwägung im Einzelfall zu dem Ergebnis führen, dass dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumutbar und die Kündigung deshalb unwirksam ist. Abzuwägen sind das Selbstverständnis der Kirchen einerseits und das Recht des Arbeitnehmers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens andererseits.

Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Düsseldorf vom 1. Juli 2010 - 5 Sa 996/09 - wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen.
Tatbestand

1 
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten.
2 
Der Kläger ist seit dem Jahre 2000 im katholischen S-Krankenhaus in D als Chefarzt der Abteilung Innere Medizin („Abteilungsarzt“) beschäftigt. Trägerin des Krankenhauses ist die Beklagte.
3 
Nach
dem Arbeitsvertrag der Parteien leisten die Mitarbeiter ihren Dienst im
Geist christlicher Nächstenliebe; als wichtiger Grund zur
außerordentlichen Kündigung ist ua. „Leben in kirchlich ungültiger Ehe
oder eheähnlicher Gemeinschaft“ vorgesehen.
4 
Nach Art. 3 Abs. 2 der auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Grundordnung des kirchlichen Dienstes vom 22. September 1993 (GrO)
können kirchliche Dienstgeber pastorale, katechetische sowie in der
Regel erzieherische und leitende Aufgaben nur einer Person übertragen,
die der katholischen Kirche angehört. Art. 4 Abs. 1 GrO fordert von den
katholischen Mitarbeitern, dass sie die Grundsätze der katholischen
Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Bei leitenden
katholischen Mitarbeitern, zu denen ua. Abteilungsärzte gehören, ist das
persönliche Lebenszeugnis iSd. Grundsätze der katholischen Glaubens-
und Sittenlehre erforderlich.
5 
Nach
Art. 5 Abs. 1 GrO muss der Dienstgeber, wenn ein Mitarbeiter die
Beschäftigungsanforderungen nicht mehr erfüllt, durch Beratung zu
erreichen versuchen, dass dieser den Mangel auf Dauer beseitigt. Als
letzte Maßnahme kommt eine Kündigung in Betracht. Gem. Art. 5 Abs. 2 GrO
ist der Abschluss einer nach dem Glaubensverständnis und der
Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe ein schwerwiegender
Loyalitätsverstoß, der eine Kündigung rechtfertigen kann. In diesem Fall
ist nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GrO die Weiterbeschäftigung ua. dann
ausgeschlossen, wenn der Loyalitätsverstoß von leitend tätigen
Mitarbeitern begangen wird. Lediglich aus schwerwiegenden Gründen des
Einzelfalls kann ausnahmsweise von der Kündigung abgesehen werden (Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GrO).
Im Fall des Abschlusses einer nach dem Glaubensverständnis und der
Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe scheidet eine
Weiterbeschäftigung jedenfalls dann aus, wenn sie unter öffentliches
Ärgernis erregenden oder die Glaubwürdigkeit der Kirche
beeinträchtigenden Umständen geschlossen wird (Art. 5 Abs. 5 GrO).
6 
Eine ungültige Ehe schließt nach katholischem Rechtsverständnis (vgl. Canon [Can.] 1085 § 1 Codex Iuris Canonici [CIC]),
wer durch das Band einer früheren Ehe gebunden ist. Eine neue
Eheschließung ist auch dann nicht erlaubt, wenn eine frühere Ehe aus
irgendeinem Grund nichtig oder aufgelöst worden ist, die Nichtigkeit
bzw. die Auflösung der früheren Ehe aber noch nicht rechtmäßig und
sicher feststeht, Can. 1085 § 2 CIC
.
7 
Nachdem
sich seine erste Ehefrau im Jahre 2005 von ihm getrennt hatte, lebte
der Kläger mit seiner jetzigen Frau von 2006 bis 2008 unverheiratet
zusammen. Das war der Beklagten nach den Feststellungen des
Landesarbeitsgerichts seit Herbst 2006 bekannt. Nach der Scheidung von
seiner ersten Ehefrau Anfang 2008 heiratete der Kläger im August 2008
seine jetzige Frau standesamtlich. Davon erfuhr die Beklagte spätestens
im November 2008. In den folgenden Wochen fanden sowohl zwischen den
Parteien als auch auf Seiten der Beklagten Erörterungen und Beratungen
statt. Nach Anhörung der bei ihr bestehenden Mitarbeitervertretung (MAV),
die von einer Stellungnahme absah, kündigte die Beklagte das
Arbeitsverhältnis im März 2009 fristgerecht zum 30. September 2009.
8 
Dagegen
hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat die Auffassung
vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die erneute Heirat
stelle keinen Kündigungsgrund dar. Er sei als Chefarzt weder leitender
Angestellter noch Träger der kirchlichen Verkündigung iSd. Art. 5 Abs. 3
GrO. Die Kündigung verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Die
Beklagte habe andere geschiedene und wiederverheiratete Chefärzte
durchaus eingestellt oder weiterbeschäftigt oder beschäftige sie sogar
derzeit. Ein etwaiges Kündigungsrecht habe die Beklagte überdies
verwirkt. Er habe sich nicht kirchenfeindlich verhalten. Die Trennung
sei nicht öffentlich geworden. Sie habe auch bei der Belegschaft kein
Ärgernis erregt.
9 

Der Kläger hat beantragt
        
1.    
festzustellen,
dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche
Kündigung der Beklagten vom 30. März 2009 zum 30. September 2009 nicht
beendet worden ist;
        
2.    
für
den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag die Beklagte zu
verpflichten, ihn über den 30. September 2009 hinaus als Leitenden Arzt
Abteilung medizinische Klinik (Innere Medizin) am S-Krankenhaus in D bis
zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses
weiterzubeschäftigen.

10 
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung
vertreten, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Der Kläger sei eine
ungültige Ehe iSd. katholischen Kirchenrechts eingegangen und habe
dadurch in erheblicher Weise gegen seine Verpflichtungen aus dem
Arbeitsverhältnis verstoßen. Der Kläger sei als leitender Mitarbeiter
iSd. Art. 5 Abs. 3 GrO anzusehen. Sie habe das Kündigungsverfahren nach
Kenntnis von der Wiederverheiratung zügig vorangetrieben. Ein Großteil
der vom Kläger benannten geschiedenen und wiederverheirateten Chefärzte
sei nicht katholisch. Andere arbeiteten in Krankenhäusern, die nicht in
ihrer Trägerschaft stünden. Herr Dr. B sei Ende 2003 ausgeschieden.
Zudem habe er seine Wiederverheiratung erst einen Monat vor seinem
altersbedingten Ausscheiden angezeigt; mit Rücksicht auf das kurz
bevorstehende Ausscheiden sei in diesem Fall von einer Kündigung
abgesehen worden. Allenfalls bei dem schon in den 80er Jahren
verstorbenen Chefarzt Dr. S könne ein vergleichbarer Sachverhalt
angenommen werden. Damals habe die Grundordnung des kirchlichen Dienstes
aber noch nicht gegolten.
11 

Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt. Das
Landesarbeitsgericht hat - nach Durchführung einer Beweisaufnahme - die
Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die
Beklagte ihren Antrag, die Klage abzuweisen, weiter.

Entscheidungsgründe

12 
Die
Revision ist unbegründet. Ob ein mögliches Kündigungsrecht der
Beklagten verwirkt wäre, kann dahin stehen. Die Kündigung ist sozial
ungerechtfertigt iSd. § 1 KSchG. Der Kläger hat zwar gegen
Loyalitätsanforderungen verstoßen. Dieser Verstoß führt aber unter den
hier gegebenen Umständen nicht zur Wirksamkeit der Kündigung: Die
erforderliche umfassende Abwägung der rechtlich geschützten Interessen
beider Parteien geht zu Gunsten des Klägers aus.
13 
I.
Das Recht der Beklagten zum Ausspruch der ordentlichen Kündigung dürfte
entgegen der Auffassung des Klägers nicht verwirkt sein. Die Beklagte
hat die Kündigung nicht mit illoyaler Verspätung ausgesprochen. Nachdem
sie im November 2008 von der Wiederverheiratung erfahren hatte, musste
sie nicht nur das in der Grundordnung vorgeschriebene beratende Gespräch
mit dem Kläger führen, sondern auch den Aufsichtsrat beteiligen und
eine Stellungnahme des Generalvikars einholen. Angesichts der - auch für
die Beklagte und das Krankenhaus - weitreichenden Folgen des
Kündigungsentschlusses ist es nicht zu beanstanden, dass sie dabei
umsichtig und ohne Hast vorging. Letztlich kommt es auf eine etwaige
Verwirkung des Kündigungsrechts nicht an. Die Kündigung ist aus anderen
Gründen unwirksam.
14 
II.
Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt iSd. § 1 KSchG. Diese
Bestimmung findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.
15 
1.
Der Kläger hat sich durch die Wiederverheiratung in Widerspruch zu den
berechtigten Loyalitätserwartungen der Beklagten gesetzt. Ob eine
Enttäuschung dieser Erwartungen die Kündigung (auch) aus Gründen im Verhalten oder (nur) aus Gründen in der Person des Klägers bedingen kann, braucht dabei nicht entschieden zu werden (2 a).
Die Kündigung war nicht schon wegen Verstoßes gegen § 1 KSchG, §§ 1, 7
AGG sozial ungerechtfertigt. Zu der in der Kündigung liegenden
unterschiedlichen Behandlung wegen der Religion war die Beklagte an sich
nach § 9 Abs. 2 AGG berechtigt (2 b). Jedoch führt die Abwägung der beiderseitigen Interessen zur Sozialwidrigkeit der Kündigung (2 c).
16 
2.
Eine Kündigung ist aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers gemäß § 1
Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer eine
Vertragspflicht erheblich - in der Regel schuldhaft - verletzt hat, die
zumutbare Möglichkeit einer anderen, zukünftige Störungen zuverlässig
ausschließenden Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des
Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile
billigenswert und angemessen erscheint. Auch die erhebliche Verletzung
einer vertraglichen Nebenpflicht kann eine Kündigung sozial
rechtfertigen (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 34, DB 2011,
2724; 28. Oktober 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 12, AP KSchG 1969 § 1
Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte
Kündigung Nr. 78
). Voraussetzung ist, dass der
Arbeitnehmer sich rechtswirksam zu dem beanstandeten Tun oder
Unterlassen hat verpflichten können. Ob dies mit Blick auf das
Versprechen, nicht erneut zu heiraten, unter dem Regime staatlichen
Rechts möglich ist, erscheint nicht unzweifelhaft.
17 
Eine
Kündigung ist aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers bedingt, wenn
der Arbeitnehmer aufgrund persönlicher Eigenschaften - ohne dass ihm
das vorwerfbar wäre - nicht (mehr) in der Lage ist, die Leistung vertragsgerecht zu erfüllen (BAG 18. Januar 2007 - 2 AZR 731/05 - Rn. 15, BAGE 121, 32).
Vorausgesetzt ist eine Nicht- oder Schlechterfüllung der geschuldeten
Leistung, etwa weil der Arbeitnehmer einer beruflichen Anforderung nicht
(mehr) entspricht.
18 
Da
die Kündigung im Streitfall auf einer Ungleichbehandlung beruht, sind
zur näheren Bestimmung ihrer sozialen Rechtfertigung die Vorschriften
des AGG heranzuziehen (BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - BAGE 128, 238).
Die stets notwendige Abwägung der rechtlich geschützten Interessen der
Parteien muss bei Kündigungen aus kirchenspezifischen Gründen dem
Selbstverständnis der Kirchen ein besonderes Gewicht beimessen (BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1718/83 ua. - zu B II 1 e der Gründe, BVerfGE 70, 138). Die Arbeitsgerichte haben zwischen dem Recht der Arbeitnehmer auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK) einerseits und den nach Art. 9 EMRK (Religionsfreiheit) und Art. 11 EMRK (Vereinigungsfreiheit)
geschützten Rechten der Religionsgemeinschaft andererseits abzuwägen.
Dieses Abwägungsgebot folgt auch aus der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR 3. Februar 2011 - 18136/02 -
EzA BGB 2002 § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 17; 23. September 2010
- 425/03 - NZA 2011, 277; 23. September 2010 - 1620/03 - NZA 2011, 279),
deren Beachtung verfassungsrechtlich geboten ist (BVerfG 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 - BVerfGE 111, 307).
19 
a) Mit der Wiederverheiratung hat der Kläger gegen seine Loyalitätsobliegenheit aus dem Arbeitsvertrag (§ 10 Abs. 4 Nr. 2) und gegen die darin in Bezug genommene Grundordnung (Art. 5 Abs. 2 GrO) verstoßen. Durch die Eingehung seiner zweiten (standesamtlichen)
Ehe hat der Kläger den Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe verletzt.
Dieser zählt zu den wesentlichen Grundsätzen der katholischen Glaubens-
und Sittenlehre. Er wird in den Vorschriften des Codex Iuris Canonici
von 1983 bekräftigt (CIC Can. 1055, 1056, 1134 und insbesondere
Can. 1141, nach dem die gültig geschlossene und vollzogene Ehe zwischen
Getauften durch keine menschliche Gewalt und aus keinem Grunde, außer
durch den Tod, aufgelöst werden kann)
. Das Verbot der
Wiederverheiratung gilt nach der katholischen Glaubenslehre auch in der
Zeit, in der ein eingeleitetes Ehenichtigkeitsverfahren noch nicht
erfolgreich beendet ist. Im Streitfall lag daher zum Zeitpunkt der
Kündigung ein Verstoß gegen Can. 1085 § 2 CIC vor (vgl. BAG 16. September 2004 - 2 AZR 447/03 - Rn. 48, AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 242 Kündigung Nr. 5).
20 
aa)
Das Verlangen der Beklagten nach Einhaltung der Vorschriften der
katholischen Glaubens- und Sittenlehre steht im Einklang mit den
verfassungsrechtlichen Vorgaben.
21 
(1)
Dem Kläger steht freilich das Recht auf freie Entfaltung seiner
Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG und auf Schutz der Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG)
zu. Diese Grundrechte umfassen regelmäßig auch die Freiheit, eine
zweite Ehe einzugehen. Die Gestaltung des privaten Lebensbereichs steht
außerhalb der Einflusssphäre des Arbeitgebers und wird durch
arbeitsvertragliche Pflichten nur insoweit eingeschränkt, wie sich das
private Verhalten auf den betrieblichen Bereich auswirkt und dort zu
Störungen führt. Berührt außerdienstliches Verhalten den
arbeitsvertraglichen Pflichtenkreis nicht, so ist der Arbeitgeber
regelmäßig nicht berechtigt, die ihm bekannt gewordenen Umstände aus der
Privatsphäre des Arbeitnehmers durch den Ausspruch einer Kündigung zu
missbilligen (BAG 10. September 2009 - 2 AZR 257/08 - Rn. 20, AP
KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG § 1
Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 77; 16. September 2004 - 2 AZR 447/03 -
Rn. 43, AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 242
Kündigung Nr. 5)
.
22 
(2)
Die Grundrechte des Arbeitnehmers nach Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG
bestehen jedoch nicht uneingeschränkt. Nach dem Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 (- 2 BvR 1718/83 ua. - BVerfGE 70, 138), dem das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung gefolgt ist (so
zB BAG 21. Februar 2001 - 2 AZR 139/00 - Rn. 53, AP BGB Kirchendienst
§ 611 Nr. 29 = EzA BGB § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 47; 24. April
1997 - 2 AZR 268/96 - AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 27 = EzA BGB § 611
Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 43; 18. November 1986 - 7 AZR 274/85 - AP GG
Art. 140 Nr. 35 = EzA BGB § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 26)
,
kommt das durch Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV
verfassungsrechtlich verbürgte Selbstordnungs- und
Selbstverwaltungsrecht neben den verfassten Kirchen auch den ihnen
zugeordneten, insbesondere karitativen Einrichtungen zu (BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1718/83 ua. - Rn. 59, aaO).
Die Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts
gewährleistet den Kirchen darüber zu befinden, welche Dienste es in
ihren Einrichtungen geben soll und in welchen Rechtsformen sie
wahrzunehmen sind. Die Kirchen können sich dabei der staatlichen
Privatautonomie bedienen, um ein Arbeitsverhältnis zu begründen und zu
regeln (BVerfGE 4. Juni 1985 - 2 BvR 1718/83 ua. - Rn. 58, aaO).
23 
(3)
Bedienen sich die Kirchen wie jedermann der Privatautonomie zur
Begründung von Arbeitsverhältnissen, so findet auf diese das staatliche
Arbeitsrecht Anwendung. Die Einbeziehung der kirchlichen
Arbeitsverhältnisse in das staatliche Arbeitsrecht hebt indessen deren
Zugehörigkeit zu den „eigenen Angelegenheiten“ der Kirche iSv. Art. 140
GG, Art. 137 Abs. 3 WRV nicht auf. Das ermöglicht es den Kirchen, in den
Schranken des für alle geltenden Gesetzes den kirchlichen Dienst nach
ihrem Selbstverständnis zu regeln und dazu die spezifischen
Obliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer verbindlich zu machen. Werden
Loyalitätsanforderungen in einem Arbeitsvertrag festgelegt, nimmt der
kirchliche Arbeitgeber nicht nur die allgemeine Vertragsfreiheit für
sich in Anspruch; er macht zugleich von seinem verfassungskräftigen
Selbstbestimmungsrecht Gebrauch (BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1718/03 ua. - Rn. 59, BVerfGE 70, 138).
24 
(4)
Welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des
Arbeitsverhältnisses bedeutsam sein können, richtet sich nach den von
der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben. Dagegen kommt es weder auf
die Auffassung der einzelnen betroffenen kirchlichen Einrichtungen, bei
denen die Meinungsbildung von verschiedenen Motiven beeinflusst sein
kann, noch auf diejenige breiter Kreise unter Kirchenmitgliedern oder
gar einzelner, bestimmten Tendenzen verbundener Mitarbeiter an (BAG 21. Februar 2001 - 2 AZR 139/00 - Rn. 53, AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 29 = EzA BGB § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 47).
Die Arbeitsgerichte haben die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe für die
Bewertung einzelner Loyalitätsanforderungen zugrunde zu legen, soweit
die Verfassung das Recht der Kirche anerkennt, hierüber selbst zu
befinden. Es bleibt danach grundsätzlich den verfassten Kirchen
überlassen, verbindlich zu bestimmen, was die „Glaubwürdigkeit der
Kirche und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind“ (vgl. Art. 4 Abs. 4, Art. 5 Abs. 5 GrO) erfordert, welches die zu beachtenden „Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre“ sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 GrO) und welche „Loyalitätsverstöße“ (vgl. Art. 5 Abs. 2 GrO)
aus „kirchenspezifischen Gründen“ als „schwerwiegend“ anzusehen sind.
Auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen
Dienst tätigen Mitarbeiter eine Abstufung der Loyalitätsanforderungen
eingreifen soll (vgl. Art. 5 Abs. 3 und Abs. 4 GrO), ist grundsätzlich eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit (vgl.
BAG 21. Februar 2001 - 2 AZR 139/00 - aaO; bestätigend: EGMR 3. Februar
2011 - 18136/02 - EzA BGB 2002 § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 17)
.
25 
bb) Nach den damit maßgeblichen kirchlichen Vorschriften liegt ein Loyalitätsverstoß vor.
26 
(1)
Die nach Art. 5 Abs. 2 GrO generell als Kündigungsgrund in Betracht
kommende Wiederheirat eines verheirateten Arbeitnehmers rechtfertigt
nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GrO eine Kündigung, wenn der betroffene
Mitarbeiter „leitend tätig“ ist. Die Wahrnehmung einer „missio canonica“
ist nicht erforderlich. Nach Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GrO kann von einer
Kündigung allerdings ausnahmsweise abgesehen werden, wenn schwerwiegende
Gründe des Einzelfalls die Kündigung als unangemessen erscheinen
lassen.
27 
(2)
Der Kläger als Abteilungsarzt für „Innere Medizin“ ist leitender
Mitarbeiter iSd. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 GrO. Das zeigt Buchst. A
Ziff. 6 der auf den Arbeitsvertrag anwendbaren Grundordnung für
katholische Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen vom 5. November
1996. Danach sind leitend tätige Mitarbeiter im Sinne der genannten
Grundordnung ua. die Abteilungsärzte. Gem. § 1 Abs. 1 des Dienstvertrags
ist der Kläger Abteilungsarzt.
28 
(3)
Ein Ausnahmefall nach Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GrO liegt nicht vor. Die
Beurteilung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe das Vorliegen
von Ausnahmetatbeständen zu Recht verneint, ist revisionsrechtlich nicht
zu beanstanden.
29 
(4)
Die Kündigung erweist sich nicht als unverhältnismäßig wegen
Missachtung der Verfahrensvorschrift des Art. 5 Abs. 1 GrO. Nach Art. 5
Abs. 1 GrO muss der kirchliche Dienstgeber, wenn ein Mitarbeiter die
Beschäftigungsanforderungen nicht mehr erfüllt, durch „Beratung“, dh.
„ein klärendes Gespräch“ versuchen, dass der Mitarbeiter diesen Mangel
auf Dauer beseitigt. Im vorliegenden Fall ist die Beklagte dieser
Verpflichtung im Gespräch vom 26. Januar 2009 nachgekommen.
30 
b)
Die Kündigung ist nicht wegen Verstoßes gegen §§ 1, 7 AGG
ungerechtfertigt iSd. § 1 KSchG. Die mit ihr verbundene
Ungleichbehandlung des Klägers wegen seiner Religion ist nach § 9 Abs. 2
AGG gerechtfertigt.
31 
aa)
Liegt - wie hier - eine Nichtachtung von Loyalitätsanforderungen vor,
so ist die weitere Frage, ob sie eine Kündigung des kirchlichen
Arbeitsverhältnisses sachlich rechtfertigt, nach den
kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften des § 1 KSchG und des § 626 BGB
zu beantworten. Diese unterliegen als für alle geltendes Gesetz iSd.
Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV umfassender arbeitsgerichtlicher
Anwendungskompetenz (BVerfG 7. März 2002 - 1 BvR 1962/01 - EzA BGB
§ 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 47a; BAG 21. Februar 2001 - 2 AZR
139/00 - AP BGB § 611 Kirchendienst Nr. 29 = EzA BGB § 611 Kirchliche
Arbeitnehmer Nr. 47).
Die Gerichte müssen jedoch auch in diesem
Rahmen dem in Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht
der Religionsgemeinschaften Rechnung tragen (BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1718/83 ua. - BVerfGE 70, 138).
Dabei sind in Fällen, in denen die Kündigung eine Benachteiligung iSd.
§§ 1 ff. AGG mit sich bringt, für die Frage der sozialen Rechtfertigung
nach § 1 KSchG die Vorschriften des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897) heranzuziehen (BAG 6. November 2008 - 2 AZR 523/07 - BAGE 128, 238).
32 
bb)
Die hier vorliegende Benachteiligung des Klägers führt nicht nach § 1
KSchG iVm. §§ 1, 7, 9 AGG zur Sozialwidrigkeit der Kündigung.
33 
(1)
Die Kündigung stellt zwar eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers
wegen der Religion iSd. § 3 Abs. 1 AGG dar. Dem Kläger wäre nicht wegen
Wiederverheiratung gekündigt worden, wenn er nicht katholisch wäre.
34 
(2) Die Benachteiligung ist jedoch nach § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt.
35 
(a)
Nach § 9 Abs. 2 AGG berührt das Verbot unterschiedlicher Behandlung
wegen der Religion nicht das Recht der Religionsgemeinschaften und der
ihnen zugeordneten Einrichtungen iSd. § 9 Abs. 1 AGG, von ihren
Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne ihres
jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können. Die Vorschrift will
Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000
umsetzen. Danach können - sofern die Bestimmungen dieser Richtlinie im
Übrigen eingehalten werden - die Kirchen und andere öffentliche oder
private Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder
Weltanschauungen beruht, im Einklang mit den einzelstaatlichen
verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Rechtsvorschriften von den für
sie arbeitenden Personen verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig
im Sinne des Ethos der Organisation verhalten. Ob dadurch allein
unterschiedliche Behandlungen wegen der Religion oder auch
Benachteiligungen aus anderen Gründen (zB wegen der sexuellen Identität)
erlaubt werden (vgl. ausführlich Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz Rn. 487 ff. mwN) kann dahinstehen, da die unterschiedliche Behandlung hier ausschließlich wegen der Religion erfolgt.
36 
(b)
Im Streitfall hat der Kläger sich illoyal im Sinne des Ethos der
Beklagten verhalten. Die Beklagte sieht, wie aus dem Arbeitsvertrag, der
Grundordnung und den Vorschriften des Corpus Iuris Canonici hervorgeht,
für leitende Mitarbeiter die Wiederverheiratung Geschiedener als einen
schweren Verstoß gegen zentrale Anforderungen ihrer Glaubens- und
Sittenlehre an. Danach kommt der Ehe nicht eine formelle Funktion im
Sinne eines frei zu schließenden und auch wieder zu lösenden
privatrechtlichen Vertrages zu, sondern sie ist als Sakrament
unauflöslich und integraler Bestandteil der göttlichen Schöpfungs- und
Erlösungsordnung (Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz Rn. 491).
Diese Vorgabe muss von der staatlichen Gewalt geachtet werden. Die
erneute Heirat eines nach kirchlichem Verständnis Verheirateten ist ein
schwerer und ernster Verstoß gegen die Loyalitätsanforderungen (HWK/Annuß/Rupp 4. Aufl. § 9 AGG Rn. 5; AGG/Voigt 3. Aufl. § 9 AGG Rn. 33; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 9 Rn. 17).
37 
(c)
Die umstrittene Frage, ob und in welchem Umfang Art. 4 Abs. 2 der
Richtlinie 2000/78/EG es gebietet, dass die nach § 9 AGG vom Arbeitgeber
gestellte berufliche Anforderung zugleich die Voraussetzungen einer
nach der Art der Tätigkeit gerechtfertigten Anforderung erfüllt (vgl.
etwa AGG/Voigt § 9 Rn. 22 ff.; Bauer/Göpfert/Krieger AGG § 9
Rn. 13 ff.; Mohr/v. Fürstenberg BB 2008, 2122; BT-Drucks. 16/1780
S. 35 f.; Schreiben der Kommission der Europäischen Union vom 31. Januar
2008 zu dem am 28. Oktober 2010 eingestellten
Vertragsverletzungsverfahren 2007/2362 zu Nr. 2),
kann dahinstehen.
Eine Auslegungsfrage iSd. Art. 267 AEUV stellt sich, wie die Prüfung
durch den Senat ergeben hat, nicht. Im Streitfall ist das Verbot der
Wiederverheiratung auch nach der Art der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit
gerechtfertigt. Die Einhaltung der katholischen Glaubens- und
Sittenlehre ist zwar nicht Voraussetzung für die Ausübung des Heilberufs
im rein praktischen Sinne. Der Kläger ist jedoch als Chefarzt
Vorgesetzter zahlreicher Mitarbeiter und verkörpert ihnen gegenüber und
auch gegenüber den Patienten und ihren Angehörigen sowie in der
Öffentlichkeit in besonderem Maße das Ethos der Beklagten. Sein
Verhalten wird von seinen Mitarbeitern und von den Patienten und ihren
Angehörigen der Beklagten zugerechnet. Die Beklagte als juristische
Person vermittelt ethische Glaubwürdigkeit in herausragendem Maß durch
ihr Führungspersonal. Diese in mehrfacher Hinsicht besondere Funktion
rechtfertigt es, dass die Beklagte von denjenigen Mitarbeitern, die sie
mit der Wahrnehmung der Leitungsaufgaben betraut, eine Identifikation
mit den Kernpunkten der katholischen Glaubens- und Sittenlehre fordert.
Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht davon aus, dass
besondere berufliche Anforderungen nicht nur dann gegeben sind, wenn
sie ein gleichsam handwerkliches Erfordernis darstellen, sondern auch,
wenn sie im Einklang mit der Richtlinie 2000/78/EG auf den religiösen
Grundsätzen des Arbeitgebers und der Bedeutung der Tätigkeit des
betreffenden Arbeitnehmers für diesen beruhen (so für das Gebot der
ehelichen Treue nach dem Verständnis der Mormonenkirche EGMR
23. September 2010 - 425/03 - NZA 2011, 277; vgl. auch EGMR 3. Februar
2011 - 18136/02 - EzA BGB 2002 § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 17)
.
38 
c)
Liegt danach ein Loyalitätsverstoß des Klägers vor, der an sich
geeignet ist, die ordentliche Kündigung nach § 1 KSchG zu rechtfertigen,
so ergibt doch die Abwägung der beiderseitigen Interessen der Parteien,
dass der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar
ist.
39 
aa)
Zu Gunsten der Beklagten wiegt die unverkennbare Schwere des
Loyalitätsverstoßes. Die Beklagte hat als katholische Einrichtung das
vom Grundgesetz gestützte Recht, auch als solche zu wirken und in
Erscheinung zu treten. Sie versteht ihr karitatives Tun im Sinne der
Erfüllung eines religiösen Auftrages. Nach der katholischen Sittenlehre
gehören Nächstenliebe und die Unauflöslichkeit der Ehe als Teile zu
derselben, umfassenden, nicht verfügbaren und einheitlichen Auffassung
vom Menschen als Geschöpf Gottes. Art. 9 und Art. 11 EMRK gewährleisten,
dass sich Menschen aufgrund einer sie verbindenden religiösen
Auffassung zusammenfinden und ihre Angelegenheiten nach Maßstäben ordnen
können, die nicht vom Staat oder der jeweils herrschenden öffentlichen
Meinung über die Natur des Menschen korrigiert werden dürfen. Das gilt
auch dann, wenn die betreffenden Auffassungen einer Bevölkerungsmehrheit
unplausibel, rückwärtsgerichtet oder irrational erscheinen mögen.
40 
bb)
Entscheidend geschwächt wird das Interesse der Beklagten an der
Auflösung des Arbeitsverhältnisses allerdings durch drei Umstände, aus
denen hervorgeht, dass sie selbst die Auffassung vertritt, einer
ausnahmslosen Durchsetzung ihrer sittlichen Ansprüche zur Wahrung ihrer
Glaubwürdigkeit nicht immer zu bedürfen.
41 
(1)
Dies zeigt sich daran, dass die Beklagte nach Art. 3 Abs. 2 GrO mit
leitenden Tätigkeiten auch nichtkatholische Personen betrauen kann. Der
katholische Glaube ist nur regelmäßige Voraussetzung für die Übertragung
von Leitungsaufgaben. Die Beklagte ist also durch die Grundordnung
nicht gezwungen, ihr „Wohl und Wehe“ gewissermaßen bedingungslos mit dem
Lebenszeugnis ihrer leitenden Mitarbeiter für die katholische
Sittenlehre zu verknüpfen.
42 
(2)
Durch diese Rechtslage ist es auch zu erklären, dass die Beklagte
mehrfach Chefärzte beschäftigt hat bzw. beschäftigt, die als Geschiedene
erneut geheiratet haben. Es handelt sich insoweit überwiegend um
nichtkatholische Arbeitnehmer bzw. katholische Arbeitnehmer in
besonderen Lebenslagen, denen gegenüber sie entweder von vornherein
nicht die strenge Befolgung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre
verlangt oder mit Rücksicht auf besondere Gegebenheiten nicht
durchsetzen zu müssen glaubte. Richtig ist, dass darin - anders als es
das Landesarbeitsgericht gesehen hat - kein Verstoß gegen den
arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gefunden werden kann. Das
ändert aber nichts daran, dass die Beklagte das Ethos ihrer Organisation
durch eine differenzierte Handhabung bei der Anwendung und Durchsetzung
ihres legitimen Loyalitätsbedürfnisses selbst nicht zwingend gefährdet
sieht.
43 
(3)
Die Beklagte hat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts den
nach dem Vertrag der Parteien der Wiederverheiratung gleichwertigen
Verstoß des ehelosen Zusammenlebens des Klägers seit dem Herbst 2006
gekannt und hingenommen. Auch das zeigt, dass sie selbst ihre moralische
Glaubwürdigkeit nicht ausnahmslos bei jedem Loyalitätsverstoß als
erschüttert betrachtet, sondern sich, möglicherweise angesichts der
ausgeprägten Verdienste des Klägers um die Patienten und ihres eigenen
mit diesen Verdiensten verbundenen Rufs, durchaus zu unterscheiden
gestattet.
44 
Schon
bei Einbeziehung nur dieser Umstände ist schwer erkennbar, warum ihr
die Beschäftigung des Klägers nunmehr unzumutbar sein sollte.
45 
cc)
Der Beklagten ist die Weiterbeschäftigung des Klägers jedenfalls dann
zumutbar, wenn dessen Belange gegen die ihren abgewogen werden.
46 
Zu
Gunsten des Klägers fällt sein grundrechtlich und durch Art. 8, Art. 12
EMRK geschützter Wunsch in die Waagschale, in einer nach bürgerlichem
Recht geordneten Ehe mit seiner jetzigen Frau zu leben. Auch deren
Recht, die Form des Zusammenlebens mit dem von ihr gewählten Partner im
gesetzlich vorgesehenen Rahmen zu bestimmen, verdient Achtung. Freilich
hat der Kläger als Katholik durch den Vertragsschluss mit der Beklagten
in die Einschränkung seines Rechts auf Achtung des Privat- und
Familienlebens eingewilligt. Wenn er an der Erfüllung seiner religiösen
Pflicht aus Gründen, die den innersten Bezirk des Privatlebens
betreffen, gescheitert ist, so geschah dies jedoch nicht aus einer
ablehnenden oder auch nur gleichgültigen Haltung heraus. Der Kläger
stellt die mit seiner Religionszugehörigkeit verbundenen ethischen
Pflichten nicht in Abrede und hat sich zu keinem Zeitpunkt gegen die
kirchliche Sittenlehre ausgesprochen oder ihre Geltung oder
Zweckmäßigkeit in Zweifel gezogen. Im Gegenteil versucht er, den ihm
nach kanonischem Recht verbliebenen Weg zur kirchenrechtlichen
Legalisierung seiner Ehe zu beschreiten. Seine Leistung und sein Einsatz
für die ihm anvertrauten Patienten, für seine Mitarbeiter und für sie
selbst werden von der Beklagten anerkannt. Störungen des
Leistungsaustauschs bestehen nicht. Irgendwelche auch nur leichten
Irritationen bei Mitarbeitern oder Patienten wegen des
Kündigungssachverhalts sind nicht erkennbar.
47 
Angesichts dessen ist die ausgesprochene Kündigung sozial nicht gerechtfertigt.
48 

III. Die Kosten der Revision fallen der Beklagten nach § 97 Abs. 1 ZPO zur Last.


        
    Kreft    
        
    Berger    
        
    Schmitz-Scholemann    
        
        
        
    Grimberg    
        
    Niebler