Welche Bedeutung hat die jüngste BAG-Entscheidung zu den arbeitsrechtlichen Freiheiten der Kirche als Tendenzbetrieb - für Studenten, Schüler, die sich auf Arbeitsrecht vorbereiten, für Dozenten oder für Personalfachleute?
Das Diskriminierungsverbot der Religionszugehörigkeit gehört zum Basiswissen im Arbeitsrecht, ebenso wie die Ausnahme für Tendenzbetriebe (Kirche, Partei etc.). Das Thema taucht regelmäßig bei den "unzulässigen Fragen" im Bewerbungsgespräch (oder im Bewerbungsfragebogen) auf. Demnach darf man nicht nach der Religionszugehörigkeit fragen, ausgenommen wenn eine Kirche oder kirchliche Einrichtung sucht (Stichtwort Tendezbetrieb)
Die Freiheitsrechte der Kirchengemeinschaften als Tendezbetrieb ist in § 9 AGG (derzeitige Fassung) festgehalten, soweit sie sich nicht schon aus § 8 AGG ergibt:
§ 9 Abs. 1 AGG :
„Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, auch zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.“
Die Markierungen dienen nur der Verdeutlichung der zwei Alternativen, § 9 (1) 1. Alt. (wegen Selbstbestimmungsrecht) und § 9 (1) 2. Alt. ("nach der Art der Tätigkeit gerechtfertigt"). Für den Nichtjuristen (Fachwirt, Industriemeister, Kaufleute) ist die Unterscheidung eher unwichtig.
Der § 9 ist wegen einer BAG-Entscheidung und der zugrundliegenden EUGH-Entscheidung künftig etwas strenger zu lesen.
Zuerst kam ein EUGH-Urteil, das die Freiheit der Kirchen (Tendenzbetrieb) einschränkte und den Wortlaut von 9(1) AGG in Frage stellte: EuGH, Urteil vom 17.04.2018, C-414/16 - Egenberger. Besprechungen:
- https://www.hensche.de/ein-religionsbekenntnis-muss-diese-anforderung-objektiv-geboten-sein-eugh-c-414-16-egenberger-u.html
- https://www.hensche.de/konfession-als-voraussetzung-der-einstellung-eugh-c-414-16-egenberger_18.04.2018_10.48.html
Aus dem EUGH-Urteil ging schon hervor, dass der deutsche § 9 AGG so nicht mehr standhalten kann, denn er entspricht nicht der EU-Richtlinie. Die erlaubt zwar Freiheiten der Kirche, aber nicht so großzügig wie in § 9 AGG formuliert - sondern nur, wenn die Religionszugehörigkeit nach der Art der Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt (Art (2) Richtlinie 2000/78/EG) .
Fraglich war, ob der 9 AGG noch zu retten ist oder ob er "europarechtskonform" ausgelegt werden kann, und wie dann diese Auslegung auszusehen hat.
Der EUGH hat übrigens keinen konkretenFall entschieden, sondern nur eine Vorlagefrage des BAG beantwortet. Der BAG wiederum hatte einen Fall vor sich, bei der eine konfessionslose Bewerberin abgelehnt wurde, weil für die Referentenstelle die evangelische Zugehörigkeit gewünscht war.
Und jetzt hat das Bundesarbeitsgericht im einschlägigen Fall endgültig entschieden und dabei die EUGH-Ansichten umgesetzt: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Oktober 2018 - 8 AZR 501/14 Pressemitteilung 53/18
Daraus ergibt sich, vereinfacht gesprochen:
§ 9(1) AGG insgesamt ist eingeschränkt worden; es muss eine Prüfung der Notwendigkeit bzgl. der konkreten Stelle erfolgen. Die arbeitsrechtliche Freiheit der Kirche (als sogenannter Tendenzbetrieb") gilt nicht mehr in vollem Umfang. Die Notwendigkeit muss im Einzelfall geprüft werden.Wenn man es juristisch ganz genau formuliert, sieht es so aus:
§ 9(1) 1. Alternative (Freiheit der Kirche wegen"Selbstbestimmungsrecht") verstößt gegen EU-Richtlinie, ist nicht konform auslegbar und ist unwirksam (darf nicht angewendet werden)
§ 9(1) 2. Alternative ist streng auszulegen, damit die Vorgaben der EUGH-Entscheidung erfüllt werden. Oder anders: die Regelung ist bleibt anwendbar, sofern man sie europarechts-konform (im Sinne der EUGH-Entscheidung) auslegt.
Was ist eigentlich mit § 8 AGG und Tendenzbetrieben?
Auch der 8 AGG enthält Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot. er richtet sich an alle Arbeitgeber, kann damit aber auch von Tendenzbetrieben benutzt werden. Beispiel: Kirchengemeinde sucht einen kath. Religionslehrer als Leiter für den örtlichen Bibelkreis.
Hier ist die Pressemitteilung Nr. 53/18 zur brandaktuellen BAG-Entscheidung:
Benachteiligung wegen der Religion - Entschädigung
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Entschädigung wegen einer Benachteiligung wegen der Religion. Der Beklagte ist ein Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er schrieb am 25. November 2012 eine auf zwei Jahre befristete Stelle eines Referenten/einer Referentin (60 %) aus. Gegenstand der Tätigkeit sollten schwerpunktmäßig die Erarbeitung des Parallelberichts zum deutschen Staatenbericht zur Umsetzung der UN-Antirassismuskonvention durch Deutschland sowie Stellungnahmen und Fachbeiträge und die projektbezogene Vertretung der Diakonie Deutschland gegenüber der Politik, der Öffentlichkeit und Menschrechtsorganisationen sowie die Mitarbeit in Gremien sein. Der Parallelbericht sollte in Beratung mit Menschenrechtsorganisationen und weiteren Interessenträgern erstellt werden. In der Stellenausschreibung heißt es ferner: „Die Mitgliedschaft in einer evangelischen oder der ACK angehörenden Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag setzen wir voraus. Bitte geben Sie Ihre Konfession im Lebenslauf an.“ Die konfessionslose Klägerin bewarb sich mit Schreiben vom 29. November 2012 auf die Stelle. Sie wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Der Beklagte besetzte die Stelle mit einem evangelischen Bewerber. Die Klägerin hat mit ihrer Klage die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG iHv. mindestens 9.788,65 Euro verlangt. Sie ist der Ansicht, der Beklagte habe sie entgegen den Vorgaben des AGG wegen der Religion benachteiligt. Sie habe die Stelle wegen ihrer Konfessionslosigkeit nicht erhalten. Der Beklagte hat eine Benachteiligung der Klägerin wegen der Religion in Abrede gestellt; jedenfalls sei die Benachteiligung nach § 9 Abs. 1 AGG* gerechtfertigt. Das Arbeitsgericht hat der Klägerin eine Entschädigung iHv. 1.957,73 Euro zugesprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen.
Die Revision der Klägerin hatte vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts teilweise Erfolg. Der Beklagte ist verpflichtet, an die Klägerin eine Entschädigung iHv. 3.915,46 Euro zu zahlen.
Der Beklagte hat die Klägerin wegen der Religion benachteiligt. Diese Benachteiligung war nicht nach § 9 Abs. 1 AGG ausnahmsweise gerechtfertigt. Eine Rechtfertigung der Benachteiligung nach § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG scheidet aus. § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG ist einer unionsrechtskonformen Auslegung im Einklang mit Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG** nicht zugänglich und muss deshalb unangewendet bleiben. Die Voraussetzungen für eine Rechtfertigung nach § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG liegen nicht vor. Nach § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG - in unionsrechtskonformer Auslegung - ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion nur zulässig, wenn die Religion nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Religionsgemeinschaft bzw. Einrichtung darstellt. Vorliegend bestehen erhebliche Zweifel an der Wesentlichkeit der beruflichen Anforderung. Jedenfalls ist die berufliche Anforderung nicht gerechtfertigt, weil im konkreten Fall keine wahrscheinliche und erhebliche Gefahr bestand, dass das Ethos des Beklagten beeinträchtigt würde. Dies folgt im Wesentlichen aus dem Umstand, dass der jeweilige Stelleninhaber/die jeweilige Stelleninhaberin - wie auch aus der Stellenausschreibung ersichtlich - in einen internen Meinungsbildungsprozess beim Beklagten eingebunden war und deshalb in Fragen, die das Ethos des Beklagten betrafen, nicht unabhängig handeln konnte. Der Höhe nach war die Entschädigung auf zwei Bruttomonatsverdienste festzusetzen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Oktober 2018 - 8 AZR 501/14 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Mai 2014 - 4 Sa 157/14, 4 Sa 238/14 -
*§ 9 Abs. 1 AGG lautet:
„Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnen zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe machen, auch zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nach der Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.“
**Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2000/78/EG lautet:
„Die Mitgliedstaaten können in Bezug auf berufliche Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, Bestimmungen in ihren zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie geltenden Rechtsvorschriften beibehalten oder in künftigen Rechtsvorschriften Bestimmungen vorsehen, die zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie bestehende einzelstaatliche Gepflogenheiten widerspiegeln und wonach eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung darstellt, wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt. Eine solche Ungleichbehandlung muss die verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätze der Mitgliedstaaten sowie die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts beachten und rechtfertigt keine Diskriminierung aus einem anderen Grund.“
https://juris.bundesarbeitsgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bag&Art=pm&Datum=2018&nr=21271&pos=0&anz=53&titel=Benachteiligung_wegen_der_Religion_-_Entsch%E4digung