Montag, 1. August 2011

BFH-Urteil zur Ablaufhemmung nach § 181 Abs. 5 Abgabenordnung

Für die Steuerfachausbildung aber auch die Steuerpraxis interessant: ein soeben veröffentlichtes Urteil des BUNDESFINANZHOFS vom 25. Mai 2011, Az IX R 36/10, schränkt die Anwendbarkeit der Ablaufhemmungsregelung des § 181 Abs. 5 AO ein. Im Streitfall ging es um den Antrag auf Verlustvortragsfeststellung, aber dasselbe gilt sinngemäß für Steuererklärungen.


Die zur Festsetzungsverjährung gehörige Regelung der Ablaufhemmung des § 181 AO, nicht zu verwechseln mit der Anlaufhemmung nach § 180 AO,  war früher nie Prüfungsgegenstand bei den Steuergehilfen-Prüfungen der Steuerberaterkammern. Sie ist aber zur Überraschung aller in den letzten Abschlussprüfungen vorgekommen. Für Steuerfachangestellte in Ausbildung also künftig ein Thema, mit dem man sich beschäftigen muss. Und für den Steuerberater ist der § 181 ebenfalls wichtig, da hier eine Haftungsfalle droht. Warum, das ergibt sich aus nachfolgendem Urteil, das ich im Volltext abgedruckt habe. Der entscheidende Abschnitt in den Urteilgründen ist in den Randzeichen 14 ff enthalten, die Hervorhebungen sind von mir.



Urteil des BFH vom 25. Mai 2011     IX R 36/10


Zur nach § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG einschränkenden Anwendung des § 181 Abs. 5 AO

Geht dem FA eine Feststellungserklärung erst einen Tag vor Eintritt der Feststellungsverjährung zu, kann nicht erwartet werden, dass der Feststellungsbescheid noch ‑‑wie dies das Gesetz in § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, § 181 Abs. 5 Satz 3 AO ausdrücklich verlangt‑‑ innerhalb der Frist den Bereich der für die Feststellung zuständigen Finanzbehörde verlässt.


AO § 149 Abs. 2, § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 171 Abs. 3, Abs. 3a, § 181 Abs. 1, Abs. 5
EStG § 10d Abs. 4 Satz 6


Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 3. März 2010  7 K 3657/09 F (EFG 2010, 1855)

Gründe

I.
1
Dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) entstanden im Streitjahr (2001) Aufwendungen für sein Medizinstudium. Am 30. Dezember 2008 gingen beim damals zuständigen Wohnsitz-Finanzamt eine Einkommensteuererklärung sowie eine Erklärung zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges für das Streitjahr ein, mit denen der Kläger vorab entstandene Werbungskosten geltend machte. Der mittlerweile zuständig gewordene Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) lehnte mit Bescheid vom 7. Mai 2009 die Verlustfeststellung ab, da die Feststellungsfrist abgelaufen sei. Einspruch und Klage blieben erfolglos.

2
Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1855 veröffentlichten Urteil aus: Da der Kläger zunächst keine Steuererklärung abgegeben habe, ende die reguläre Feststellungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) am 31. Dezember 2008. Eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO scheide aus, weil diese Vorschrift nicht bei der Abgabe von gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärungen gelte. § 181 Abs. 2 Satz 1 AO schreibe aber die Abgabe einer gesonderten Erklärung zum Verlustabzug vor. § 171 Abs. 3a AO komme nicht in Betracht (nur bei Einspruch oder Klage). Schließlich sei auch § 181 Abs. 5 AO nicht anwendbar. Denn es bedürfe keiner Begründung, dass die Voraussetzungen des § 10d Abs. 4 Satz 6 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Streitjahres (EStG) nicht vorlägen.

3
Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers. Das FA habe pflichtwidrig gehandelt, als es die Verlustfeststellung auf den 31. Dezember 2001 unterließ. § 181 Abs. 5 AO sei vielmehr nach § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG anwendbar. Aus der Gesetzesbegründung (BTDrucks 16/2712, S. 44) ergäben sich Argumente für die Anwendbarkeit. Es müsse ausreichen, wenn die Erklärung vor dem Ende der Feststellungsfrist abgegeben werde. Wenn es trotz einer frist- und formgerecht abgegebenen Verlustfeststellungserklärung zum Ablauf der Feststellungsfrist komme, so sei das mangels einer expliziten Ablaufhemmung strukturell angelegt. Es sei mit dem Bestimmtheitsgebot unvereinbar und verstoße gegen die Normenklarheit, wenn es dem Steuerpflichtigen durch § 10d Abs. 4 Satz 6 EStG unmöglich gemacht werde, den notwendigen Fristlauf zu bestimmen, hänge dieser doch in der vom FG bevorzugten Auslegung von Arbeitsabläufen innerhalb des FA ab.

4
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil und den Ablehnungsbescheid des FA vom 7. Mai 2009 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2010 aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

5
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

6
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit am Tage der mündlichen Verhandlung um 8:10 Uhr eingegangenen Schriftsatz um Aufhebung des auf 10:00 Uhr festgesetzten Verhandlungstermins gebeten.

II.
7
1. Der Senat hat den Antrag auf Terminsänderung abgelehnt; denn Gründe für eine Terminsänderung nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 227 Abs. 1 und Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) hat der Kläger nicht vorgetragen.

8
2. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Zutreffend hat es das FG abgelehnt, einen verbleibenden Verlustabzug zum 31. Dezember 2001 wegen Ablaufs der Feststellungsfrist festzustellen. Da der Kläger für das Streitjahr zunächst keine Steuererklärung abgegeben hatte, endete die Feststellungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 181 Abs. 1 AO am 31. Dezember 2008.

9
3. Eine   Ablaufhemmung   ist nicht eingetreten.

10
a) Dies gilt ‑‑insoweit folgt der Senat den Gründen des FG-Urteils‑‑ zunächst hinsichtlich § 171 Abs. 3a AO.

11
b) Es liegen aber auch die Voraussetzungen des § 171 Abs. 3, § 181 Abs. 1 AO nicht vor.

12
aa) Wird vor dem Ablauf der Feststellungsfrist außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens ein Antrag auf Steuerfeststellung gestellt, so läuft die Feststellungsfrist insoweit nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden ist. Die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung ist indes nach einhelliger Auffassung kein Antrag i.S. von § 171 Abs. 3, § 181 Abs. 1 AO (ständige Rechtsprechung, vgl. die Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 10. Juli 2008 IX R 90/07, BFHE 222, 32, BStBl II 2009, 816, und vom 17. Februar 1998 VIII R 21/95, BFH/NV 1998, 1356). Muss der Steuerpflichtige eine Feststellungserklärung abgeben, sieht das Gesetz keine Ablaufhemmung, wohl aber eine   Anlaufhemmung   vor (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 181 Abs. 1 Satz 2 AO).

13
bb) Für die gesonderte Feststellung nach § 10d Abs. 4 EStG besteht gemäß § 181 Abs. 2 Satz 1 AO eine Erklärungspflicht (BFH-Urteil in BFHE 222, 32, BStBl II 2009, 816). Ist die Abgabe einer eigenständigen Erklärung nicht notwendig, weil sich die Grundlagen des Feststellungsbescheides (§ 10d Abs. 1 EStG) aus anderen Steuer- oder Feststellungsbescheiden ergeben, genügen entsprechende Angaben in der Einkommensteuererklärung. Gemäß § 56 Satz 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung i.d.F. des Streitjahres muss eine Einkommensteuererklärung ferner abgegeben werden, wenn zum Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums ein verbleibender Verlustabzug festgestellt worden ist (vgl. zum Vorstehenden Blümich/Schlenker, § 10d EStG Rz 235).

14
c) Eine Ablaufhemmung kommt auch nicht nach § 181 Abs. 5 AO in Betracht. Diese Norm ist im Streitfall nicht anwendbar.

15
aa) § 181 Abs. 5 AO ist nur anzuwenden, wenn die zuständige Finanzbehörde die Feststellung des Verlustvortrags pflichtwidrig unterlassen hat. Da diese einschränkende Regelung gemäß § 52 Abs. 25 Satz 5 i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 ‑‑JStG 2007‑‑ (BGBl I 2006, 2878) für alle bei Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2007 am 19. Dezember 2006 (vgl. Art. 20 Abs. 1 JStG 2007) noch nicht abgelaufenen Feststellungsfristen anwendbar ist, gilt sie auch hier.


§ 10d Abs. 4 Satz 6 EStG bezweckt eine zeitnahe Entscheidung über die Höhe des verbleibenden Verlustabzugs.


§ 181 Abs. 5 AO bleibt anwendbar, wenn das FA keinen Verlustfeststellungsbescheid erlassen hat, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre, weil ihm die Verluste aus einer Steuererklärung bekannt waren (vgl. zum Normzweck BTDrucks 16/2712, S. 44; Ettlich, Der Betrieb 2009, 18, 24, m.w.N.).

16
Im Streitfall hat das FA die Feststellung des Verlustvortrags auf den 31. Dezember 2001 zwar unterlassen, aber nicht pflichtwidrig. Geht dem FA eine Feststellungserklärung erst einen Tag vor Eintritt der Feststellungsverjährung zu, kann nicht erwartet werden, dass der Feststellungsbescheid noch ‑‑wie dies das Gesetz in § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, § 181 Abs. 5 Satz 3 AO ausdrücklich verlangt‑‑ innerhalb der Frist den Bereich der für die Feststellung zuständigen Finanzbehörde verlässt.

17
bb) Entgegen der Auffassung der Revision handelt es sich hier nicht um eine Frist, innerhalb derer der Steuerpflichtige handeln muss und die er gegebenenfalls bis zum Ende ausschöpfen kann. Denn der Steuerpflichtige handelt, indem er eine Einkommensteuererklärung oder eine Feststellungserklärung abgibt. Den zeitlichen Rahmen umschreibt § 149 Abs. 2 Satz 1 AO (s. dazu Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 181 AO Rz 54). Das bedeutet: Innerhalb der dort vorgegebenen Fristen muss der Steuerpflichtige tätig werden, indem er eine Einkommensteuererklärung oder eine Feststellungserklärung abgibt. Wer bis zum Ablauf der Feststellungsfrist damit wartet, muss den Nachteil davon tragen, wenn ein Feststellungsbescheid nicht mehr in der gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO notwendigen Weise erlassen wird.

18
cc) Nach diesen Grundsätzen hat das FG zu Recht die Anwendung des § 181 Abs. 5 AO abgelehnt: Wer ‑‑wie der Kläger‑‑ seine Feststellungserklärung erst am 30. Dezember 2008 und damit einen Tag vor Eintritt der Feststellungsverjährung abgibt, kann nicht erwarten, dass der Feststellungsbescheid noch ‑‑wie dies das Gesetz in § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1, § 181 Abs. 5 Satz 3 AO ausdrücklich verlangt‑‑ innerhalb der Frist den Bereich der für die Feststellung zuständigen Finanzbehörde verlässt.


Ende des Urteilsabdrucks


 


Abschließende Anmerkung: Für die Praxis ergibt sich eine Ungewissheit über den letztmöglichen Zeitpunkt, zu dem man einen Antrag einreichen kann. Insofern ist die Argumentation des Klägers zu verstehen. Aber der BFH sah dies anders und die Praxis wird sich danach richten müssen.


P. Burkes, 1.8.2011