Sonntag, 21. August 2011

Neue Rechtsprechung zum Gewährleistungsrecht: Aus- und Einbaukosten beimangelhafter Ware

Folgenden Beitrag halte ich für wichtig für  Händler (Verkäufer), Verbraucher und alle Studenten, die sich im Rahmen ihrer Ausbildung mit Gewährleistungsrecht befassen müssen.

Der EuGH (Urteil v. 16.06.2011, Rs. C-65/09 und Rs. C-87/09) hatte in zwei Vorabentscheidungsverfahren Fragen von deutschen Gerichten zu beantworten.


Dabei geht es um die Frage, wie Art 3 der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie zu verstehen ist, wo es wiederum um die Nacherfüllung geht, die bekanntlicherweise in den beiden Formen "Nachlieferung" (Umtausch) und "Nachbesserung" (Reparatur) erfolgen kann. Die Frage ist, ob der Verkäufer auch die Ein- und Ausbaukosten bei einem erforderlichen Umtausch tragen muss, und zwar verschuldensunabhängig. Im Falle von Verschulden (fahrlässige oder vorsätzliche Kenntnis vom Mangel) wäre die Haftung unproblematisch; sie ergibt sich aus der Schadenersatzhaftung für Mangelfolgeschäden.

Der EUGH ging letztlich von einer verschuldensunabhängigen Haftung des Händlers für diese Kosten aus.

Das hat Folgen für die Kalkulation von Händlern, eventuell auch privaten Verkäufern (noch unklar), ferner ist es derzeit höchst examensrelevant im Rahmen des Gewährleistungsrechts, also für Juristen und Betriebswirte.


Der EUGH hat zwei Fälle miteinander verbunden und einheitlich darüber entschieden.


1. Fall - Az C‑65/09 


Ein privater Käufer hatte bei einem Händler Bodenfliesen für 1.400 Euro gekauft. Nachdem er einen Teil der Fliesen in seinem Haus verlegt hatte, stelle er fest, dass sich auf der Oberfläche Schattierungen befanden, die mit bloßem Auge erkennbar waren. Ein Sachverständiger stellte fest, dass sich diese Schattierungen nicht entfernen lassen und die Fliesen komplett ausgetauscht werden müssen, um den Mangel zu beseitigen.  Kosten:  5.800 Euro. Der Händler weigert sich, diese Kosten zu übernehmen, da er von dem Mangel nichts wusste und er nicht davon wissen konnte. Der BGH legte dem Europäischen Gerichtshof die Frage vor, ob sich aus dem "europäischem Recht" ergibt, dass der Verkäufer einer mangelhaften Sache auch die Kosten für den Ausbau der mangelhaften und den Einbau der nachgelieferten Sache tragen muss.

2. Fall - Az C‑87/09

Das zweite Verfahren, welches der EuGH mit seinem Urteil zu entscheiden hatte, betraf eine über das Internet gekaufte Spülmaschine zum Preis von 367 Euro zzgl. 9,52 Euro Nachnahmegebühren.

Nach Einbau der Spülmaschine stellte sich heraus, dass diese einen nicht behebbaren Mangel hatte, der nicht durch die Montage entstanden war. Die Parteien einigten sich daher auf einen Austausch der Maschine. Die Käuferin verlangte aber nicht nur den Austausch der Maschine, sondern auch den Ausbau der alten und den Wiedereinbau der neuen Maschine, ohne dass sie hierfür Kosten tragen müsse. Das Amtsgericht Schorndorf setzte das Verfahren aus und fragte beim EuGH an, ob  Art 3 VerbrGKRiL entsprechend auszulegen ist.

Der Tenor der Entscheidung ist bei EuGH-Entscheidungen nicht am Anfang, sondern ganz am Ende zu finden:



  1. Art. 3 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter ist dahin auszulegen, dass, wenn der vertragsgemäße Zustand eines vertragswidrigen Verbrauchsguts, das vor Auftreten des Mangels vom Verbraucher gutgläubig gemäß seiner Art und seinem Verwendungszweck eingebaut wurde, durch Ersatzlieferung hergestellt wird, der Verkäufer verpflichtet ist, entweder selbst den Ausbau dieses Verbrauchsguts aus der Sache, in die es eingebaut wurde, vorzunehmen und das als Ersatz gelieferte Verbrauchsgut in diese Sache einzubauen, oder die Kosten zu tragen, die für diesen Ausbau und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts notwendig sind. Diese Verpflichtung des Verkäufers besteht unabhängig davon, ob er sich im Kaufvertrag verpflichtet hatte, das ursprünglich gekaufte Verbrauchsgut einzubauen.
     

  2. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 1999/44 ist dahin auszulegen, dass er ausschließt, dass eine nationale gesetzliche Regelung dem Verkäufer das Recht gewährt, die Ersatzlieferung für ein vertragswidriges Verbrauchsgut als einzig mögliche Art der Abhilfe zu verweigern, weil sie ihm wegen der Verpflichtung, den Ausbau dieses Verbrauchsguts aus der Sache, in die es eingebaut wurde, und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in diese Sache vorzunehmen, Kosten verursachen würde, die verglichen mit dem Wert, den das Verbrauchsgut hätte, wenn es vertragsgemäß wäre, und der Bedeutung der Vertragswidrigkeit unverhältnismäßig wären. Art. 3 Abs. 3 schließt jedoch nicht aus, dass der Anspruch des Verbrauchers auf Erstattung der Kosten für den Ausbau des mangelhaften Verbrauchsguts und den Einbau des als Ersatz gelieferten Verbrauchsguts in einem solchen Fall auf die Übernahme eines angemessenen Betrags durch den Verkäufer beschränkt wird.

Die Entscheidung wird in allen möglichen Blogs und Rechtsportalen oft so wiedergegeben, dass der "Verkäufer" die Pflicht habe, den Ein- und Ausbau zu übernehmen oder die Kosten hierfür zu erstatten, ferner, dass der "Verkäufer" sich in diesem Fall nicht darauf berufen kann, dass damit die Art der Nacherfüllung unverhältnismäßig ist und er sie verweigern kann. Sind diese Kosten im Einzelfall unverhältnismäßig hoch, kann allerdings eine Herabsetzung des Ersatzanspruchs in Frage kommen. Dann muss der Käufer aber die Möglichkeit haben, statt einer Ersatzlieferung den Kaufpreis angemessen zu mindern oder den Vertrag aufzulösen.

Diese Art der Wiedergabe ist so nicht ganz korrekt, und zwar aus verschiedenen Gründen.


  1. Eigentlich geht es bei der Richtlinie um den "Verbrauchsgüterkauf" also einem unternehmerischen Verkäufer an einen privat auftretenden Käufer. Die Richtlinie gilt nicht beim Handel zwischen Unternehmern, oder beim Handel zwischen Privatleuten, oder beim Verkauf durch Privat an Unternehmer. Ob die Entscheidung nun auch für die anderen Gruppen, also allgemein für "Verkäufer" und "Käufer" gilt, wie es oft formuliert wird,  ist noch zu klären, wenn es auch sehr wahrscheinlich ist.
     

  2. Der EuGH hat nur über die Auslegung einer Richtlinie entschieden, die für den Verbrauchsgüterkauf gilt, nicht über das deutsche Recht, also dem § 439 BGB. Das müssen jetzt der BGH und das Amtsgericht machen und dabei die Ansicht des EuGH über die Richtlinie berücksichtigen.

    Diese Richtlinie ist kein direkt geltendes Recht, sondern nur eine Vorgabe an die Staaten, ihre Gesetze entsprechend auszugestalten, also einen Mindestschutz für Verbraucher einzuführen.

    Speziell im vorliegenden Fall dürfte  sich allerdings die Entscheidung im Endeffekt fast direkt auf das deutsche Recht auswirken, weil sich der § 439 BGB, der die Nacherfüllungspflicht bei Mängel regelt, entsprechend auslegen lässt und damit auch auszulegen ist (europarechtskonforme Auslegung). Aber eigentlich hat der EuGH nichts hierzu gesagt. 

    Der § 439 BGB scheint vom Wortlaut her zunächst solche weitgehenden Verpflichtungen nicht zu erfassen. Durch die EuGH-Entscheidung werden Richter künftig den § 439 BGB anders auslegen müssen und dürfen.
     

  3. Es bleibt die Frage, ob diese Auslegung dann nur für die Fälle des Verbrauchsgüterkaufs gelten soll, oder für alle Kaufverträge. Das ist noch zu klären. Nachdem die Rechtsprechung eine "gespaltene" Auslegung von Normen nicht mag, könnte(!) es dazu kommen, dass die Gerichte die EuGH-Ansichten zunächst für ALLE Kaufverträge anwenden; der deutsche Gesetzgeber kann sich dann überlegen, ob er die Regelung abändert, um den privaten Verkäufern (man denke an ebay) nicht zuviel Risiko aufzuerlegen.

    Der Leser muss sich klarmachen, dass ein privater Verkäufer, wenn sich die Mangelhaftigkeit der Sache herausstellt und er keinen Gewährleistungsausschluss vereinbart hat, die Sache nicht nur zurücknehmen muss, sondern auch noch ein enormes zusätzliches Kostenrisiko trägt. Um diesem Risiko Rechnung zu tragen, müsste man den Preis etwas höher kalkulieren.
     

  4. Auch ist noch zu klären, wie bei dieser weiten Auslegung generell die Abgrenzung Mangelschaden und Mangelfolgeschaden aussehen soll. Denn Ein- und Umbaukosten hätte man bisher als Mangelfolgeschaden eingestuft, für den der Verkäufer nur haftet, wenn ihm auch ein Verschulden bzw. Vertretenmüssen trifft.
     

  5. Und schließlich muss sich der Student noch mit der genauen Konstruktion auseinandersetzen, die im Prüfungsfalle auf ihn zukommt. Aus welchen Paragraphen leitet er die Ersatzansprüche ab, wenn diese Kosten nicht mehr zu den Mangelfolgeschäden, sondern zum Kernschaden gehören?

Die beste Kommentierung der Meldung habe ich (wieder einmal) auf der Seite von juraexamen.info gefunden, und zwar einen Aufsatz von Nicolas Hohn-Hein. Dieser zeigt auch den Paragraphenweg auf, der wahrscheinlich künftig anzuwenden sein dürfte.  Außerdem geht der Aufsatz auch auf die vorangegangene Entwicklung in der deutschen Rechtsprechung ein, z.B. die Dachziegelentscheidung des BGH aus 1983 und den Parkettstäbe-Fall (BGH NJW 2008, 2837).


Nachtrag:

Prof. Dr. Lorenz hat eine Kurzfassung seiner in der NJW abgedruckten Urteilsbesprechung in seine Webseiten eingestellt (http://www.lrz.de/~Lorenz/urteile/rsc-65_09_87_09.htm). Diese ist lesenswert. Sie geht auf oben genannte und weitere Folgefragen ein und zeigt, wie problematisch es ist, die Folgen aus dem Beschluss zu erkennen. Außerdem freut es mich, dass er die Entscheidung offen kritisiert, und im übrigen ebenfalls der Ansicht ist, dass das Urteil unschöne Auswirkungen auf den Handel haben wird:

"Das Urteil ist von einer erschreckend geringen Begründungstiefe und wird sich als Phyrrussieg für die Verbraucher erweisen, für den Einzelhandel stellt es eine Katastrophe dar. Selbstverständlich wird das auf die Preise durchschlagen " (Zitat Lorenz, a.a.O.)