Dienstag, 24. Januar 2012

Dauerthema Überstundenvergütung

Seit dem BAG-Urteil  vom 17. August 2011 -(siehe , Az 5 AZR 406/10)  ist das Thema Überstunden und Mehrarbeit sehr aktuell.

Immer mehr Urteile werden zu dem Thema bkeannt.  Nicht nur, dass sich die Personalfachleute über darüber  Gedanken machen muss, auch in der Ausbildung wird das Thema wichtig. BWL-Studenten, WiWi-Stundenten und Jura-Studenten sollten sich meines Erachtens gründlich mit dem komplexen Bereich "Mehrarbeit und Überarbei"t auseinander setzen. Und es lohnt sich, denn das Thema ist nicht nur prüfungsrelevant, sondern auch in der Praxis wichtig.

Für die Arbeitnehmer ist es natürlich auch interessant, aber schwer vermittelbar. Arbeitnehmerklagen auf Zahlung von Überstunden gehen oft verloren, weil die Kläger nicht über die Beweisprobleme informiert sind. Umbekehrt verschenken viele Arbeitnehmer Überstundenvergütungen, weil sie sich an unwirksamen Abgeltungsklauseln in Arbeitsverträgen gebunden fühlen.

Mit welchen Details müssen sich Lernende oder klagewillige Arbeitnehmer auseinandersetzen?

Zunächst muss der Arbeitnehmer jede einzelne Überstunde belegen, für die er eine Vergütung haben möchte. Das können Excel-Erfassungen sein, Stempeluhren oder anderes. Ferner muss die Überstunde auf Anweisung des Arbeitgebers erfolgen. Hierzu muss man wissen, dass eine duldende Kenntnis der Arbeitgeber von den Überstunden reichen kann. Dies hat die Rechtsprechung erarbeitet - es reiche das "Wissen und Wollen" des Arbeitgebers. Weiter ist die Frage zu klären, ob der Arbeitnehmer eine Überstundenvergütung "erwarten kann", oder ob umgekehrt seine Überstunden bei gleichen Gehalt erwartet werden dürfen. Wenn der Vertrag nämlich keine ausdrückliche Regelung über Überstundenvergütung enthält, ist die entscheidende Rechtsgrundlage der § 612 BGB, wonach es darauf ankommt, ob bei Ausführung einer Arbeit im Auftrag eines anderen üblicherweise eine Vergütung zu erwarten ist. Der Paragraph spielt nicht nur bei Handwerkern oder Architekten eine Rolle, wenn sie Kostenvoranschläge oder Entwürfe machen und vergessen haben, die Vergütungsfrage zu regeln, sondern auch bei fest angestellten Arbeitnehmern.

Für den Studenten ist es wichtig, den § 612 BGB zu kennen, und hierzu gibt es Fallgruppen aus der Rechtsprechung. Grob vereinfacht: Bei höheren Diensten, z.B. die eines angestellten Rechtsanwalts, ist eine Überstundenvergütung nicht selbstverständlich, bei einer normalen Büroarbeit dagegen kann eine Vergütung erwartet werden.

Auch muss der Lernende die Unterscheidung zwischen Mehrarbeit und Überarbeit verstehen und die Rechtsprechung über die AGB-Kontrolle von Arbeitsvertragsklauseln kennen, bei denen es um die Abgeltung von solchen Merarbeiten oder Überstunden geht (siehe eingangs genanntes  BAG-Urteil)

Lesenswert ist ein neueres Urteil des LAG Berlin-Brandenburg, weniger wegen der Besonderheit dort, sondern weil es ein schöner Beispielfall ist. Das LAG erleichtert etwas die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers bei Überstunden-Zahlungsklagen (Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.12.2011, 6 Sa 1941/11). Dabei geht es dort speziell um die Frage, ob es reicht, wenn Vorgesetze (nicht der Arbeitgeber selbst) von den Überstunden wissen. Aber auch andere der oben angesprochenen Aspekte werden erörtert. Eine sehr schöne Aufbereitung des Urtels gibt es von RA Hensche auf seinem Info-Portal hensche.de

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Hier der entscheidende Abschnitt aus dem Urteil des LAG Berlin vom 23. Dezember 2011 (Auszug aus Randnummer 13 ff der Urteilsgründe):




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1.1 Die Klägerin hat gemäß § 612 Abs. 1 BGB Anspruch auf Zahlung restlichen Gehalts in Höhe von 4.369,57 € brutto.



14


1.1.1 Es war davon auszugehen, dass sich die Klägerin unter Ausklammerung der Pausen von Juli 2009 bis April 2010 insgesamt 301,67 Stunden und von Mai bis September 2010 insgesamt 70 Stunden über ihre reguläre Arbeitszeit hinaus im Betrieb der Beklagten aufgehalten hat. Diese Zeiten ergaben sich bei richtiger Addition der in den ausgedruckten Anwesenheitslisten für die einzelnen Monate ausgewiesenen Stunden.



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1.1.1.1 Dass die monatlichen Anwesenheitslisten nicht etwa von der Klägerin selbst gefertigt worden sind, sondern auf Weisung ihres Vorgesetzten von allen Mitarbeitern durch kontinuierliche Eingabe von Arbeitsbeginn und –ende zustande gekommen sind, ist von dem als Zeugen gehörten Auszubildenden bestätigt worden. Mit seiner Weisung hatte der Vorgesetzte gerade der Verpflichtung der Beklagten aus § 16 Abs. 2 Satz 1 ArbZG entsprochen, die über die werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden nach § 3 Satz 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer aufzuzeichnen.



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1.1.1.2 Der Zeuge hat auch bestätigt, dass alle Mitarbeiter Überstunden geleistet hätten und dass die Klägerin gelegentlich schon vor ihm im Büro gewesen und erst nach ihm gegangen sei, womit die gegenteilige Behauptung der Beklagten widerlegt war. Soweit der Zeuge geschildert hat, man habe bisweilen nach Ende der Arbeit noch zehn Minuten oder länger bei Kaffee, Cola und Keksen zusammen gesessen, hat er schon nicht anzugeben vermocht, ob sich die Klägerin erst danach ausgetragen hat, wie er dies zum Teil gemacht haben will. Zudem wäre dies dadurch kompensiert worden, dass nach glaubhafter Darstellung der Klägerin im Verhandlungstermin an manchen Tagen nicht einmal Zeit für eine halbe Stunde Pause gewesen war. Eine sich daraus bisweilen ergebende Arbeitszeit von fast 13 Stunden liegt keinesfalls außerhalb der Realität des Arbeitslebens (vgl. BAG, Urteil vom 17.04.2002 – 5 AZR 644/00 – AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 40 zu II 2 b aa der Gründe).



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1.1.1.3 Soweit es nach Schilderung des Zeugen möglich gewesen sein soll, stundenweise der Arbeit fernzubleiben, um private Dinge zu erledigen oder Überstunden abzubummeln, wie dies bei der Klägerin vielleicht vier oder fünf Mal in den letzten vier bis fünf Wochen vorgekommen sein soll, ließ dies in dieser Allgemeinheit keine für die Beklagte günstigen Rückschlüsse zu. Zudem hat der Vorgesetzte der Klägerin gegen die Richtigkeit ihrer Eintragungen offenbar keine Einwände erhoben oder eine Korrektur verlangt. Dazu hätte jedoch Anlass bestanden, um nachhalten zu können, wie viele Überstunden der Klägerin noch zum Abbummeln verblieben.



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1.1.1.4 Dass die Klägerin etwa nachträglich ihre Eintragungen zu ihren Gunsten geändert hat, war mit Rücksicht darauf, dass die vom Vorgesetzten geschaffene Excel-Tabelle nicht schreibgeschützt war, zwar theoretisch möglich. Dies war jedoch nicht anzunehmen, weil damit ein erhebliches Überführungsrisiko mit strafrechtlichen Konsequenzen verbunden gewesen wäre, wenn der Vorgesetzte sich etwa die Listen monatlich ausgedruckt hätte oder davon eine Sicherheitskopie existierte.



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1.1.1.5 Schließlich war es unschädlich, dass die Angaben auf den Anwesenheitslisten offenbar programmgemäß durchweg auf glatte fünf Minuten lauteten. Bei mehreren hundert Anfangs- und Endterminen ist es höchst wahrscheinlich, dass sich damit verbundene Rundungseffekte ausgleichen, was gemäß § 287 Abs. 2 ZPO eine entsprechende Schätzung erlaubt.



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1.1.1.6 An der Glaubwürdigkeit des auch von der Beklagten benannten Zeugen bestanden keine Zweifel, obwohl dieser weiterhin im Ausbildungsverhältnis zur Beklagten steht und erkennbar bemüht war, die Arbeitsbedingungen in einem besonders guten Licht erscheinen zu lassen. Gleichwohl hat er in entscheidenden Punkten die Darstellung der Klägerin bestätigt. Auch erschien seine Aussage nicht einstudiert oder unnatürlich abstrakt, sondern spontan und farbig und als Ausdruck eigenen Erlebens.



21


1.1.1.7 Den von der Klägerin bereits erstinstanzlich benannten Zeugen vorsorglich zu laden, war mit Rücksicht auf das substantiierte Bestreiten der Richtigkeit ihrer Angaben auf den Anwesenheitslisten durch die Beklagte gemäß §§ 56 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, 64 Abs. 7 ArbGG veranlasst gewesen. Dem stand nicht entgegen, dass dieses Bestreiten als neues Verteidigungsmittel gemäß § 67 Abs. 4 Satz 1 ArbGG bereits mit der Berufungsbegründung hätte vorgebracht werden müssen und die Beklagte ihre Verspätung nicht entschuldigt hat. Zurückzuweisen ist verspätetes Vorbringen erst dann, wenn es zu einer Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits führte, was nicht der Fall ist, wenn die Verspätung durch zumutbare vorbereitende Maßnahmen des Gerichts ausgeglichen werden kann (BGH, Urteil vom 12.07.1979 – VII ZR 284/78 – BGHZ 75, 138 zu 3 d der Gründe).



22


1.1.2 Es konnte auch davon ausgegangen werden, dass die Klägerin während ihrer Anwesenheit im Büro mit Ausnahme ihrer Pausenzeit Arbeitsleistungen für die Beklagte erbracht hat.



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1.1.2.1 Die Anwesenheit eines Arbeitnehmers im Betrieb an seinem Arbeitsplatz begründet bereits eine Vermutung dafür, dass diese zur Erledigung seiner Arbeit jeweils notwendig war (LAG Berlin, Urteil vom 06.04.1983 – 12 Sa 3/83 – zu 5 a. E. der Gründe). Dafür sprach vorliegend auch, dass die Klägerin einen Bestand von durchweg mehr als 600 Einheiten zu bearbeiteten hatte, zu denen auch rd. 200 neue Objekte gehörten, die mit entsprechend größerem Aufwand eingepflegt werden mussten. Dass die Arbeitsbelastung groß war, ergab sich auch daraus, dass der Vorgesetzte der Klägerin und ihre Kollegin deswegen gelegentlich eines Meetings beim Prokuristen in Halle vorstellig geworden sind, wie die Beklagte eingeräumt hat.



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1.1.2.2 Soweit die Beklagte behauptet hat, die Klägerin habe nicht in angemessenem Tempo gearbeitet, längere private Telefonate geführt und Arbeiten im Schreibtisch liegen gelassen, entbehrte dies jeglicher Substantiierung nach § 138 Abs. 2 ZPO, hätte sich teilweise bloß als Schlechtleistung dargestellt und stand jedenfalls in Widerspruch zu der zehnprozentigen Gehaltserhöhung, die im Schreiben der Beklagten vom 3. Mai 2010 gerade mit guten Leistungen der Klägerin begründet worden war.



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1.1.3 Die von der Klägerin geleisteten Überstunden sind von der Beklagten auch geduldet worden. Abgesehen davon, dass beide Geschäftsführer mitbekommen haben müssen, dass ihre Mitarbeiter über die reguläre Arbeitszeit hinaus anwesend waren, wie der Zeuge ausgesagt hat, musste sich die Beklagte das Verhalten des Vorgesetzten der Klägerin zurechnen lassen. Mag dieser vom Zeugen als „Juniorchef“ bezeichnete Mitarbeiter auch bloß Fachvorgesetzter der Klägerin gewesen sein, wie die Beklagte eingewandt hat, gehörte es doch damit gerade zu seinen Aufgaben bei der arbeitstechnischen Abwicklung des Arbeitsverhältnisses zur Klägerin, darauf zu achten, dass diese ihr Pensum möglichst innerhalb der regulären Arbeitszeit erledigte. Wenn er es gleichwohl hinnahm, dass sie deutlich länger anwesend war und dies auch in der von ihm entworfenen Excel-Tabelle dokumentierte, konnte dies aus Sicht der Klägerin nur als Billigung verstanden werden. Es verhielt sich insoweit nicht anders als im Fall der Abmahnung einer Pflichtwidrigkeit durch den Fachvorgesetzten, der damit aufgrund seiner Direktionsbefugnisse trotz fehlender Kündigungsvollmacht über das Kündigungsrecht des Arbeitgebers verfügt (dazu BAG, Urteil vom 18.01.1980 – 7 AZR 75/78 – AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 3 zu 2 a der Gründe).



26


1.1.4 Die nach § 612 Abs. 1 BGB erforderliche - objektive – Vergütungserwartung, die in weiten Teilen des Arbeitslebens gegeben ist, bestand auch hier. Während es bei Diensten höherer Art einen allgemeinen Rechtsgrundsatz nicht gibt, dass jede Mehrarbeitszeit oder jede dienstliche Anwesenheit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu vergüten ist (BAG, Urteil vom 17.08.2011 – 5 AZR 406/10 – DB 2011, 2550 R 20), verhält es sich bei Leistung schlichter Büroarbeit gerade anders.



27


1.1.5 Bei einem Monatsgehalt von 2.000,00 € belief sich in der 40 Stundenwoche der Stundensatz der Klägerin auf (2.000,00 x 3/13 : 40 =) 11,54 €. Dieser erhöhte sich ab Mai 2010 auf (2.200,00 x 3/13 : 40 =) 12,69 €. Für Juli 2009 bis April 2010 errechnete sich daraus ein Betrag von (301,67 x 11,54 =) 3.481,27 € und für Mai bis September 2010 ein solcher von (70 x 12,69 =) 888,30 €, insgesamt mithin 4.369,57 €.



28


1.2 Verzugszinsen stehen der Klägerin aufgrund Mahnung gemäß §§ 286 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 BGB zu.



29


2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO.