Freitag, 10. August 2012

Tucholsky: Recht muss Recht bleiben

Gerade entdeckt: ein Gedicht meines Lieblingsschriftstellers Kurt Tucholsky, 1932. 

Es lässt sich wohl nicht wirklich auf die heutigen Probleme übertragen, wenn auch Ähnlichkeiten da sind. Es betrifft den Frust der Deutschen gegen die Reparationszahlungen nach dem ersten Weltkrieg, der von den Nazis zur Stimmungsmache und Machtumsturz benutzt wurde. (na ja, ein bisschen erinnert es an die unsachliche BILD-Zeitungshetze gegen Griechenland, allerdings geht die nicht zugunsten irgendeiner Partei, sondern ist einfach nur populistisch)

Kurt Tucholsky hat übrigens nach der Machtergreifung Hitlers Selbstmord begangen. Inwieweit seine Depressivität durch die politische Entwicklung verstärkt wurde, kann wohl niemand mehr feststellen.

Recht muß Recht bleiben –!

»Wir können nicht zahlen! Wir werden nichts zahlen!
Die Gläubiger sollen uns was malen!«
Das geht gegen Welschland und gegen New York.
Verträge nehmen wir leicht wie Kork.
Nur nicht gegen die, die uns beherrschten:
Wie steht denn die Sache mit unsern Ferschten –?

Sagt da einer: Groß ist die deutsche Not?
Sagt da einer: Sparen heißt das Gebot?
Ruft da der Nazi: Tyrannei?
Rundfunkt da der Groener: Ein Volk sei frei?
Stehn da die Bürger auf wie ein Mann,
weil keiner zahlen will und kann?
Kriegen die Fürsten, was andre suchen?
Brot –? Ja, Kuchen.

Die bekommen Millionen und Millionen.
Die dürfen in weiten Schlössern wohnen.
Die kassieren für Kind und Kindeskind,
weil wir brave Untertanen sind.
Der in Doorn, der den Haß einer Welt gesammelt,
der hat noch nie so viel Geld gesammelt.
Die Burschen können in Dollars baden,
ihre Konten sind von Gottes Gnaden.
Wirft die einer zum Tempel hinaus?
So sehn wir aus.

Kein Geld für Krüppel. Kein Geld für Proleten.
Kein Geld für die, die der Krieg zertreten.
Der Wind pfeift durch den Hosenriß.
Der Dank des Vaterlands ist euch gewiß.

Die leiden. Die hungern. Und die dürsten.
Aber immer feste für die Fürsten!
Sie zapfen an deutschem Gut und Blute.
Da heißt es nicht: Tribute! Tribute!
Da zahlt der Deutsche, getreu seinem Eid,
an die gottgewollte Obrigkeit.

Aber der kleine Mann, der in Land und Stadt
seine Kriegsanleihe gezeichnet hat,
der kann sich sein Geld in den Schornstein schreiben.
Recht muß Recht bleiben.

  • · Theobald Tiger (eines der Pseudonyme von Kurt Tucholsky)
    Die Weltbühne, 23.02.1932, Nr. 8, S. 273.
Tucholskys Werke sind urheberrechtsfrei; das obige Gedicht ist u.a. abgedruckt bei:

Tucholsky, Kurt, Werke, 1932, Recht muss Recht bleiben -! - Zeno.org