Donnerstag, 27. März 2014

Steuerrechtliche Selbstanzeige

Anlässlich der Selbstanzeige von Uli Hoeneß stellt sich für Laien und Steuerfachleute die Frage, wie derzeit die Rechtslage ist. Hier eine Zusammenstellung:



2010 wurden 26.000 Selbstanzeigen in Deutschland gestellt

Selbstanzeige ist unter anderem ein Begriff im deutschen Steuerstrafrecht. Wer wirksam eine Selbstanzeige erstattet, kann gemäß (§ 371 AO) nicht bestraft werden, obwohl er eine Steuerhinterziehung (§ 370 AO) vollendet hat. 

(Für Jurastudenten: mit dem Institut der Selbstanzeige wird „tätige Reue“ auch nach einem bereits beendeten Delikt mit Straffreiheit honoriert)

Das Recht zur strafbefreienden Selbstanzeige besteht bundes-(reichs-)einheitlich seit dem Inkrafttreten der Reichsabgabenordnung vom 13. Dezember 1919, § 374 ab 23. Dezember 1919 (später § 410, heute § 371 der Abgabenordnung..

Wichtigster Grund der strafbefreienden Selbstanzeige ist die Erschließung von Steuerquellen, die dem Staat bis zu dieser nicht bekannt waren. Durch eine Selbstanzeige wird rückwirkend die Strafbarkeit beseitigt.

Hinter der Regelung steckt also eine Abwägung zwischen Gerechtigkeitsanspruch und Finanzinteressen.


Was viele Fachleute nicht mitbekommen haben: es gab eine Verschärfung des Rechts, im Jahre 2011



Novelle 2011 


Die Bundesregierung legte im März 2011 einen Entwurf des Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und der Steuerhinterziehung (Schwarzgeldbekämpfungsgesetz)[11] und BR-Drs. 851/10) vor, der vorsieht, die Vorschrift des § 371 AO über die Selbstanzeige zu ändern. Dies ist Ausfluss einer Entwicklung, die ihren Anfang im Ankauf von Steuersünder-CDs nahm (diese enthielten Listen deutscher Kunden von Schweizer Banken). Anlässlich dessen wurde der Ruf laut, die Straffreiheit durch eine Selbstanzeige sei ungerecht und daher abzuschaffen.[12] Die SPD-Bundestagsfraktion hatte am 20. April 2010 den Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung [13] vorgelegt, der jedoch nicht weiter beraten wurde. Prof. Wolfgang Joecks kommt zum Ergebnis[14] , dass eine Streichung der Selbstanzeige Unsinn sei, stellt aber zur Diskussion, über eine Erweiterung der Sperrgründe in § 371 Abs. 2 AO nachzudenken. In diese Richtung gingen Anträge der Regierungsparteien [15] sowie der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen [16], über die der Bundestag am 21. Mai 2010 beraten hat. Einen Tag vor dieser Beratung hat der Bundesgerichtshof einen Beschluss[17] verkündet, in dem er seine Rechtsprechung zur Selbstanzeige änderte und deren Vollumfänglichkeit zum Postulat erhob.
Der Bundestag hat am 17. März 2011 das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung (Schwarzgeldbekämpfungsgesetz)[18] und damit die Verschärfung der strafbefreienden Selbstanzeige § 371 Abgabenordnung – AO bei Steuerhinterziehung beschlossen. Grundlage waren gleichlautende Gesetzentwürfe von CDU/CSU und FDP[19] sowie der Bundesregierung[20] zur Verbesserung der Bekämpfung von Geldwäsche und Steuerhinterziehung.
 

Die Gesetzesänderung wurde auch entsprechend umgesetzt. Wesentliche Punkte der Gesetzesnovelle sind:

  • Die Selbstanzeige muss zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart (also z.B. Einkommensteuer, Umsatzsteuer) in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigen, die unvollständigen Angaben ergänzen oder die unterlassenen Angaben nachholen.
  • Die Selbstanzeige ist begrenzt auf Hinterziehungsbeträge von höchstens 50.000 Euro je Tat. 

    Das ist aber aus meiner Sicht nur eine Scheinverschärfung. Denn bei Beträgen über 50.000 Euro kann man sich freikaufen; dazu wurde der § 398a AO eingefügt: Unter den Voraussetzungen des neu eingefügten § 398a AO kann von Strafverfolgung abgesehen werden, Dazu muss man eine Zusatzleistung von 5 % auf den Hinterziehungsbetrag erbringen.
  • Der Zeitpunkt, von dem an die Selbstanzeige im Regelfall gesperrt ist, wird vorverlagert. War bislang das Erscheinen des Steuerprüfers der praktisch bedeutsamste Sperrgrund, so ist dies künftig die Bekanntgabe der Prüfungsanordung.

Neuere Tendenzen zur völligen Abschaffung


Seit vielen Jahren flackern gelegentlich Diskussionen um Änderungen des Instruments "Selbstanzeige" auf. Ein Anlass dafür war z.B. eine medial stark beachtete Hausdurchsuchung bei Klaus Zumwinkel im Februar 2008. Deutsche Behörden kauften einige Steuer-CDs und lösten damit jeweils hunderte von Selbstanzeigen von Steuerpflichtigen aus.


Dem Steuerabkommen Deutschland–Schweiz verweigerte am 23. November 2012 der Bundesrat (in dem die von SPD, Grünen und Linken regierten Länder die Mehrheit innehaben) die Zustimmung. 

Das Bundeskabinett rief den Vermittlungsausschuss an. Die Bundesregierung hat das Vermittlungsergebnis am 17. Januar 2013, der Bundesrat am 1. Februar 2013 abgelehnt; damit war das Gesetz gescheitert


Im Frühjahr 2013 wurde die Diskussion intensiver.

  • Anfang April begann OffshoreLeaks. Seitdem wird verstärkt - auch auf EU-Ebene - diskutiert, wie man Steueroasen austrocknen könnte.
  • Die Bankenkrise auf Zypern (Näheres hier) und die drohende Staatspleite der Republik Zypern mach(t)en bewusst, wie viel Geld von Steuerpflichtigen ins Ausland geschafft wurde.
  • Auch das Bankgeheimnis steht in der Kritik. Im April 2013 wurde bekannt, dass Österreich und Luxemburg ihr Bankgeheimnis lockern wollen.[1][2]
  • Am 20. April 2013 machte Focus online öffentlich bekannt, dass es staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung gegen Uli Hoeneß (Präsident des FC Bayern München) gibt, nachdem Hoeneß im Januar eine Selbstanzeige abgegeben hatte.[3][4] Näheres siehe im Artikel 'Uli Hoeneß'.
  • Im Februar 2014 wurden mit Alice Schwarzer und André Schmitz zwei weitere Fälle von Steuerhinterziehung durch prominente Deutsche bekannt.
  • Laut Handelsblatt gingen in den ersten zehn Monaten des Jahres 2013 etwa 20.000 Selbstanzeigen bei deutschen Finanzämtern ein. Im gesamten Jahr 2012 waren es nur rund 8.000 Selbstanzeigen.[5]
Am 26. April 2013 stimmte der Bundestag über eine Abschaffung der Selbstanzeige ab. Die Partei Die Linke hatte diese Abstimmung beantragt; alle anderen Bundestagsfraktionen stimmten gegen diesen Antrag.[7]

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer sagte am 27. April: „Wir sollten die strafbefreiende Selbstanzeige nicht abschaffen, wir sollten sie auf bestimmte, kleinere Fälle begrenzen.“ „Wenn es [...] um mafiöse Strukturen geht, wenn viel Geld und kriminelle Energie im Spiel sind, wäre Milde völlig unangebracht. Gegen solche Straftäter muss der Staat mit der ganzen Härte des Gesetzes vorgehen.“[8]
Nach Bekanntwerden der Steuerhinterziehung durch Alice Schwarzer und André Schmitz meldeten sich im Februar 2014 in der SPD Politiker wie Sigmar Gabriel, Hubertus Heil und Joachim Poß, die die strafbefreiende Selbstanzeige abschaffen wollen. Bei den Grünen meldet sich Katrin Göring-Eckardt, die eine strafbefreiende Selbstanzeige nur noch bei Bagatellstraftätern aufrecht erhalten möchte. [9] Aus den Reihen der CDU/CSU hingegen wird an der strafbefreienden Selbstanzeige festgehalten. So erklärte CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble am 6. Februar 2014, dass er keine überzeugenden Gründe für eine Abschaffung des Instruments sehe.[10]

Heutige Rechtslage (seit der Novelle 2011)

Voraussetzung für eine wirksame Selbstanzeige ist, dass der Täter der Steuerhinterziehung seine Tathandlung korrigiert (unrichtige oder unvollständige Angaben berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt) und die hinterzogene Steuer entrichtet. Der Bundesgerichtshof entschied am 20. Mai 2010, dass ein Steuerhinterzieher keine Straffreiheit erlangt, wenn er von mehreren bisher den Finanzbehörden verheimlichten Auslandskonten nur diejenigen offenbart, deren Aufdeckung er fürchtet. Vielmehr muss man, um Straffreiheit zu erlangen, hinsichtlich aller Konten „reinen Tisch“ machen.[17] Diese Auslegung des § 371 AO war zum damaligen Zeitpunkt umstritten. Der Wortlaut der Norm, erlaubte bis zur Novelle 2011 auch die Auslegung, dass bei einer Teilberichtigung auch teilweise Straffreiheit eintritt.

Die Voraussetzungen für die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige ergeben sich aus § 371 AO:
  • eine Berichtigungserklärung,
  • die fristgerechte Nachzahlung, und
  • das Nichteingreifen eines Sperrgrundes.

Lesetipps:

Neuregelung der strafbefreienden Selbstanzeige im Steuerstrafrecht
von RA Dr. Tobias Rudolph (Datum unbekannt)
http://www.tobiasrudolph.de/aktuelles44.html?site=Neuregelung%20der%20strafbefreienden%20Selbstanzeige%20im%20Steuerstrafrecht

Die neue Selbstanzeige - Checkliste
von RA Dr. Tobias Schwartz und RA Philipp Külz, Flick Gocke Schaumburg, Bonn
20.04.2012
http://www.iww.de/pstr/schwerpunktthema/checkliste-die-neue-selbstanzeige-f9484

Zur Neuregelung der Selbstanzeige (§ 371 AO) im Jahr 2011
Von RA Dr. Markus Adick, Bonn HRR, Heft 5/2011
http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/11-05/index.php?sz=7

Gegenüberstellung alte Version und neue Version des § 371 AO bei der Novelle 2011

http://www.buzer.de/gesetz/1966/al27944-0.htm
Dabei ist zu beachten, dass § 398a völlig neu eingeführt wurde und zusammen mit dem neuen § 371 AO zu lesen ist.
http://www.buzer.de/gesetz/1966/al27946-0.htm

Aktuelle Gesetzestexte:

§ 371 Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung

(1) Wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 bestraft.
(2) Straffreiheit tritt nicht ein, wenn
1.
bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung
a)
dem Täter oder seinem Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 bekannt gegeben worden ist oder
b)
dem Täter oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist oder
c)
ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung, zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist oder
2.
eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste oder
3.
die nach § 370 Absatz 1 verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 50 000 Euro je Tat übersteigt.
(3) Sind Steuerverkürzungen bereits eingetreten oder Steuervorteile erlangt, so tritt für den an der Tat Beteiligten Straffreiheit nur ein, wenn er die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet.
(4) Wird die in § 153 vorgesehene Anzeige rechtzeitig und ordnungsmäßig erstattet, so wird ein Dritter, der die in § 153 bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen oder unrichtig oder unvollständig abgegeben hat, strafrechtlich nicht verfolgt, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter vorher die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist. Hat der Dritte zum eigenen Vorteil gehandelt, so gilt Absatz 3 entsprechend.
 Die Beschränkung auf 50.000 Euro (seit 2011) wird durch § 398a AO  (auch seit 2011) weitgehend abgemildert (wenn nicht ausgehöhlt)
§ 398a Absehen von Verfolgung in besonderen Fällen

In Fällen, in denen Straffreiheit nur deswegen nicht eintritt, weil der Hinterziehungsbetrag 50 000 Euro übersteigt (§ 371 Absatz 2 Nummer 3), wird von der Verfolgung einer Steuerstraftat abgesehen, wenn der Täter innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist
1.
die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern entrichtet und
2.
einen Geldbetrag in Höhe von 5 Prozent der hinterzogenen Steuer zugunsten der Staatskasse zahlt.

 Die Steuerhinterziehung selbst ist in § 370 AO geregelt.
§ 370 Steuerhinterziehung

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1.
den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht,
2.
die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt oder
3.
pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
1.
in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt,
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht,
3.
die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht,
4.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt, oder
5.
als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Absatz 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorteile erlangt.
(4) Steuern sind namentlich dann verkürzt, wenn sie nicht, nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; dies gilt auch dann, wenn die Steuer vorläufig oder unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt wird oder eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Steuervorteile sind auch Steuervergütungen; nicht gerechtfertigte Steuervorteile sind erlangt, soweit sie zu Unrecht gewährt oder belassen werden. Die Voraussetzungen der Sätze 1 und 2 sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können.
(5) Die Tat kann auch hinsichtlich solcher Waren begangen werden, deren Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr verboten ist.
(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch dann, wenn sich die Tat auf Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen. Das Gleiche gilt, wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchsteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden.
(7) Die Absätze 1 bis 6 gelten unabhängig von dem Recht des Tatortes auch für Taten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes begangen werden.