Sonntag, 16. August 2020

Die Verwirrung um die Restschuldbefreiungsfrist


Im Jahre 1999 wurde das Insolvenzrecht völlig reformiert. Die bis dahin geltende "Konkursordnung" wurde durch die "Insolvenzordnung" abgelöst, was aber nicht nur Namensänderungen, sondern auch deutliche inhaltliche Änderungen mit sich brachte.

Eine der zentralen Neuerungen bei der Einführung der Insolvenzordnung am 01.01.1999 war die neu eingeführte Möglichkeit der Restschuldbefreiung.

Grundsätzlich galt und gilt noch heute, dass nach Abschluss eines Konkurs- oder Insolvenzverfahrens die Gläubiger ihre nicht befriedigten Restforderungen weiter verfolgen können. Das konnte früher allenfalls durch einen Zwangsvergleich gemäß Konkursordnung oder Vergleichsordnung vermieden werden. Dazu waren unter anderem eine Gläubigermehrheit und eine hohe Erledigungsquote notwendig, was in der Praxis selten der Fall war.

Deshalb wurde, gemäß dem Vorbild einiger ausländischer Rechtsordnungen, die Möglichkeit eines Erlasses der Restschulden diskutiert. Die Reform hat diesen Gedanken mit der Möglichkeit der "Restschuldbefreiung" einfließen lassen. Grob skizziert sieht die gesetzliche Lösung wie folgt aus.

Der Insolvenzschuldner stellt nach Abschluss des Insolvenzverfahrens einen Antrag auf Restschuldbefreiung und tritt gleichzeitig für eine Abtretungsfrist von sechs Jahren (ab 1.10.2020 drei Jahre) den pfändbaren Teil seines laufenden Einkommens einem Treuhänder ab

Dieser verteilt die Beträge an die Gläubiger. Der Schuldner muss ferner in diesem Zeitraum bestimmte Pflichten erfüllen, beispielsweise sich stets um eine zumutbare Erwerbstätigkeit bemühen.

Nach Ablauf der Frist prüft das Gericht die "Redlichkeit" des Schuldners und beschließt die Restschuldbefreiung. Ab 2014 kann dies auch schon nach fünf Jahren erfolgen, ab 1.10.2020 schon nach drei Jahren.

Das Ziel ist, den redlichen und bemühten Schuldner von den durch das Insolvenzverfahren nicht erledigten Restschulden zu befreien. Damit eröffnet man den Betroffenen eine Chance und einen Anreiz für einen wirtschaftlichen Neubeginn.

Zu beachten ist:

· Restschuldbefreiung gibt es nur für natürliche Personen!

· Der Schuldner selbst muss den Insolvenzantrag gestellt haben (Eigenantrag).

· Das Insolvenzverfahren (gleichgültig ob Regelinsolvenz oder Verbraucherinsolvenz) muss abgeschlossen sein. Eventuelle Vermögenserlöse sind also verteilt, reichten aber nicht zur Erledigung aller Schulden.

Das Gericht befreit den Schuldner von den Restschulden, sofern dieser das beantragt und alle Voraussetzungen erfüllt sind. Ausgenommen sind aber bestimmte Forderungen, vor allem aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung sowie Geldstrafen. Die Gläubiger werden vor dem Gerichtsbeschluss gehört, um Einwendungen gegen die Restschuldbefreiung vorbringen zu können.

Die Restschuldbefreiungsfrist
Problematisch ist es, die korrekte Frist zu benennen. Bei Einführung der Restschuldbefreiung waren es sieben Jahre, später wurde das auf sechs Jahre verkürzt.
Ab 2014 wurden zwei Fälle der vorzeitigen Beendigung eingeführt, so dass trotz der Abtretungsfrist fon sechs Jahren eine Befreiung schon nach fünf Jahren, eventuell sogar schon nach drei Jahren möglich war.
Faktisch konnte man also ab 2014  schon nach fünf Jahren einen Befreiungsantrag stellen. An der Abtretungsfrist von sechs Jahren hatte sich aber nichts geändert (man musste seltsamerweise auch weiterhin für sechs Jahre die Einkünfte abtreten).  Das alles ergibt sich aus § 300 Abs. 1 Nr. 3 InsO (in der Fassung bis zum 30.9.2020). Für diese Verkürzung auf fünf Jahre waren keine besonderen Voraussetzungen notwendig.
Unter den in § 300 Abs. 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen konnte man den Antrag schon  nach 3 Jahren stellen.
Ab 1.10.2020 wurde die Frist bei Privatinsolvenzen generell auf drei Jahre festgelegt. Diese für 2022 vorgesehene Reform wurde anlässlich der Pandemie vorgezogen. Auch für 2020 haben wir keine klare Rechtslage.
Es ist also für einen Prüfling schwer, eine korrekte Fristangabe zu machen, und die Angaben in Internetbeiträgen sind ebenfalls verwirrend und scheinbar widersprüchlich. Der § 300 InsO, aus dem sich die Fristen ergeben, ist ebenfalls nur schwer verständlich. Man kann sich damit behelfen, dass man allgemein vom Ablauf der Restschuldbefreiungsfrist spricht. Es ist aber unwahrscheinlich, dass in nächster Zeit eine Prüfungsfrage auf diese Frist eingeht oder sie erwartet.





Hier ist der Wortlaut von § 300 InsO in der Fassung August 2020. Ab 1.10.2020 wird sich die Internetfassung auf gesetze-im-internet.de oder dejure.org automatisch ändern, so dass jemand, der die alte Rechtslage wissen will und keine gedruckte Gesetzessammlung zu Hause hat, Probleme bekommt.

§ 300 Entscheidung über die Restschuldbefreiung

(1) Das Insolvenzgericht entscheidet nach Anhörung der Insolvenzgläubiger, des Insolvenzverwalters oder Treuhänders und des Schuldners durch Beschluss über die Erteilung der Restschuldbefreiung, wenn die Abtretungsfrist ohne vorzeitige Beendigung verstrichen ist. Hat der Schuldner die Kosten des Verfahrens berichtigt, entscheidet das Gericht auf seinen Antrag, wenn
1.
im Verfahren kein Insolvenzgläubiger eine Forderung angemeldet hat oder wenn die Forderungen der Insolvenzgläubiger befriedigt sind und der Schuldner die sonstigen Masseverbindlichkeiten berichtigt hat,
2.
drei Jahre der Abtretungsfrist verstrichen sind und dem Insolvenzverwalter oder Treuhänder innerhalb dieses Zeitraums ein Betrag zugeflossen ist, der eine Befriedigung der Forderungen der Insolvenzgläubiger in Höhe von mindestens 35 Prozent ermöglicht, oder
3.
fünf Jahre der Abtretungsfrist verstrichen sind.
Satz 1 gilt entsprechend. Eine Forderung wird bei der Ermittlung des Prozentsatzes nach Satz 2 Nummer 2 berücksichtigt, wenn sie in das Schlussverzeichnis aufgenommen wurde. Fehlt ein Schlussverzeichnis, so wird eine Forderung berücksichtigt, die als festgestellt gilt oder deren Gläubiger entsprechend § 189 Absatz 1 Feststellungsklage erhoben oder das Verfahren in dem früher anhängigen Rechtsstreit aufgenommen hat.
(2) In den Fällen von Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 ist der Antrag nur zulässig, wenn Angaben gemacht werden über die Herkunft der Mittel, die an den Treuhänder geflossen sind und die über die Beträge hinausgehen, die von der Abtretungserklärung erfasst sind. Der Schuldner hat zu erklären, dass die Angaben nach Satz 1 richtig und vollständig sind. Das Vorliegen der Voraussetzungen von Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 bis 3 ist vom Schuldner glaubhaft zu machen.
(3) Das Insolvenzgericht versagt die Restschuldbefreiung auf Antrag eines Insolvenzgläubigers, wenn die Voraussetzungen des § 290 Absatz 1, des § 296 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 3, des § 297 oder des § 297a vorliegen, oder auf Antrag des Treuhänders, wenn die Voraussetzungen des § 298 vorliegen.
(4) Der Beschluss ist öffentlich bekannt zu machen. Gegen den Beschluss steht dem Schuldner und jedem Insolvenzgläubiger, der bei der Anhörung nach Absatz 1 die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt oder der das Nichtvorliegen der Voraussetzungen einer vorzeitigen Restschuldbefreiung nach Absatz 1 Satz 2 geltend gemacht hat, die sofortige Beschwerde zu. Wird Restschuldbefreiung nach Absatz 1 Satz 2 erteilt, gelten die §§ 299 und 300a entsprechend.