Mittwoch, 26. Januar 2011

AGB im Arbeitsrecht – BAG zur unwirksamenÜberstundenpauschalierungsabrede

Der Beitrag richtet sich an Studenten der Betriebswirtschaft, aber auch an alle Praktiker, die mit Arbeitsrecht zu tun haben.

Ein Urteil des BAG vom September 2010 dürfte und müsste eigentlich alle Personalabteilungen in Aufregung versetzen. Es floss aber nicht in die Pressemitteilungen ein und ist deshalb zwischen anderen aufsehenerregenden BAG-Urteilen untergegangen.


Das Urteil vom 1.9.2010, 5 AZR 517/09, betrifft  vorformulierte Überstundenpauschalierungsvereinbarungen. Diese können gegen das AGB-Recht (Recht der   Allgemeinen Geschäftsbedingungen, § 305 ff BGB, seit 2002 auch auf Arbeitsverträge anwendbar) verstoßen.

Der Leitsatz lautet:

Die AGB-Klausel "erforderliche Überstunden sind mit dem Monatsgehalt abgegolten" genügt nicht dem Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB), wenn sich der Umfang der danach ohne zusätzliche Vergütung zu leistenden Überstunden nicht hinreichend deutlich aus dem Arbeitsvertrag ergibt.


Der Arbeitsvertrag des Klägers enthielt folgende Bedingungen































































        








„§ 2   

        






Die Beschäftigung erfolgt entsprechend den jeweiligen Betriebserfordernissen im 1- oder im 2- oder im 3-Schicht-System.

        






Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, seine Arbeitsleistung bei entsprechendem Bedarf und auf ausdrückliche Weisung hin auch an Samstagen zu erbringen.

        






…       

        






Die Arbeitszeit wird im 1- oder 2- oder im 3-Schicht-System zunächst wie folgt geregelt:

        






...     

        






Der Arbeitnehmer erklärt sich zudem ausdrücklich bereit, seine Tätigkeiten in Fällen betrieblicher Notwendigkeit auch außerhalb der oben festgelegten Arbeitszeiten, in den Nachtzeiten, an den Wochenenden und an Feiertagen zu erbringen.

        






Überstunden sind zu leisten, sofern diese zur Erfüllung der vertraglich geschuldeten Leistung gemäß der anliegenden Tätigkeitsbeschreibung erforderlich sind.

        






§ 3     

        






Für seine Tätigkeit erhält der Arbeitnehmer ein monatliches Bruttogehalt iHv. Euro 3.000,00.

        






Das Bruttogehalt bezieht sich auf 45 Arbeitsstunden wöchentlich. Davon sind 38 Normalstunden und 7 Mehrarbeitsstunden. Die Mehrarbeitsstunden können im Falle betrieblicher Erfordernisse jederzeit ganz oder teilweise abgebaut und verrechnet werden.

        






Mit der vorstehenden Vergütung sind erforderliche Überstunden des Arbeitnehmers mit abgegolten.

        






…“    


Das AGB-Recht ist auch auf vorformulierte Vertragsbedingungen in Arbeitsverträgen anwendbar. Nach Ansicht des BAG verstößt die Abgeltungsregelung in § 3 des Vertrages gegen das Transparenzgebot, § 307 BGB, und ist somit unwirksam.

Das Urteil muss aber mit Vorsicht genossen werden - es kommt auf die Feinheiten an. Diese haben letztlich mit dem ewig problematischen Unterschied von Überstunden und Mehrarbeit zu tun, was erst herauskommt, wenn man die vom BAG zitierte weiteren Urteile liest.

Zur Erinnerung:


  • Überstunden = Überschreiten der vertraglich vereinbarten (normalen, regelmäßigen) Arbeitszeit

  • Mehrarbeit = Überschreiten der gesetzlich erlaubten Arbeitszeit nach ArbZG (oder einer abweichend geregelten Tarifarbeitszeit)


Mehrarbeit kann in bestimmten Fällen durchaus zulässig sein. Fraglich ist, genauso wie bei Überstunden, die Frage der Entlohnung. Für die Vergütung von Überstunden und Mehrarbeit bestehen keine besonderen gesetzlichen Regelungen, weshalb Abgeltungen in Einzelverträgen grundsätzlich denkbar sind.

Die oben genannte Klausel ist nach Ansicht des BAG intransparent, weil nicht klar hervorgeht, ob neben den normalen Überstunden auch Mehrarbeitstunden abgegolten sind, was aus Sicht des Arbeitnehmers nicht selbstverständlich ist.

Weitere Feinheten werden aus folgendem Ausschnitt aus der Urteilsbegründung deutlich, wobei die Nummern links vom Text die zitierfähigen Randnummern des Urteils sind.




























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b) Die in § 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrags geregelte Pauschalabgeltung von Überstunden ist mangels hinreichender Transparenz unwirksam.










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aa) Wird davon ausgegangen, dass eine Regelung wie die streitbefangene die Hauptleistungspflichten der Parteien betrifft (zum Meinungsstand vgl. ErfK/Preis 10. Aufl. §§ 305 - 310 BGB Rn. 91 f.; HWK/Gotthardt 4. Aufl. Anh. §§ 305 - 310 BGB Rn. 39), unterliegt sie gemäß § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB gleichwohl der Transparenzkontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Danach kann sich die zur Unwirksamkeit einer Allgemeinen Geschäftsbedingung führende unangemessene Benachteiligung daraus ergeben, dass die Bedingung nicht klar und verständlich ist. Dieses Transparenzgebot schließt das Bestimmtheitsgebot ein. Danach müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigten Beurteilungsspielräume entstehen. Sinn des Transparenzgebots ist es, der Gefahr vorzubeugen, dass der Vertragspartner des Klauselverwenders von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird (vgl. BAG 24. Oktober 2007 - 10 AZR 825/06 - Rn. 14, BAGE 124, 259; 31. August 2005 - 5 AZR 545/04 - Rn. 45, BAGE 115, 372). Eine Klausel muss im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Zumutbaren die Rechte und Pflichten des Vertragspartners des Klauselverwenders so klar und präzise wie möglich umschreiben. Sie verletzt das Bestimmtheitsgebot, wenn sie vermeidbare Unklarheiten und Spielräume enthält.










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bb) Eine die pauschale Vergütung von Mehrarbeit regelnde Klausel ist nur dann klar und verständlich, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergibt, welche Arbeitsleistungen von ihr erfasst werden sollen (vgl. ErfK/Preis §§ 305 - 310 BGB Rn. 91; HWK/Gotthardt Anh. §§ 305 - 310 BGB Rn. 39; Hromadka/Schmitt-Rolfes NJW 2007, 1777, 1780; Bauer/Chwalisz ZfA 2007, 339, 354). Andernfalls ließe sich nicht erkennen, ab wann ein Anspruch auf zusätzliche Vergütung besteht. Der Umfang der Leistungspflicht muss so bestimmt oder zumindest durch die konkrete Begrenzung der Anordnungsbefugnis hinsichtlich des Umfangs der zu leistenden Überstunden so bestimmbar sein, dass der Arbeitnehmer bereits bei Vertragsschluss erkennen kann, was ggf. „auf ihn zukommt“ und welche Leistung er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss (vgl. BAG 5. August 2009 - 10 AZR 483/08 - Rn. 14, AP BGB § 242 Betriebliche Übung Nr. 85 = EzA BGB 2002 § 242 Betriebliche Übung Nr. 10; 11. Oktober 2006 - 5 AZR 721/05 - Rn. 28, AP BGB § 308 Nr. 6 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 6). Aufgrund einer unklar abgefassten Pauschalierungsklausel besteht die Gefahr, dass der Arbeitnehmer in der Annahme, er habe keinen Rechtsanspruch auf eine gesonderte Überstundenvergütung, seinen Anspruch nicht geltend macht.










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cc) § 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrags ist nicht klar und verständlich. Diese Klausel soll alle Arbeitsstunden erfassen, die die vereinbarten 45 Wochenstunden überschreiten. Deren Umfang ist im Arbeitsvertrag nicht bestimmt. Insbesondere lässt sich weder der Klausel selbst noch den arbeitsvertraglichen Bestimmungen im Übrigen eine Begrenzung auf die nach § 3 ArbZG zulässige Höchstarbeitszeit (vgl. zu dieser Auslegungsmöglichkeit BAG 28. September 2005 - 5 AZR 52/05 - BAGE 116, 66) entnehmen. Aus dem Wortlaut des § 3 Abs. 3 („erforderliche Überstunden“) ergibt sich eine solche Beschränkung jedenfalls nicht. Nach § 2 letzter Absatz des Arbeitsvertrags sind Überstunden zu leisten, sofern diese zur Erfüllung der geschuldeten Leistung gemäß der anliegenden Tätigkeitsbeschreibung erforderlich sind. Das Vertragswerk bietet vielmehr Anhaltspunkte dafür, dass es zu Überschreitungen der gesetzlich zulässigen Höchstarbeitszeiten kommen könnte. Die dem Arbeitsvertrag zugrunde liegenden Schichtpläne gehen von durchschnittlich 45 Wochenarbeitsstunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche aus. Die durchschnittliche tägliche Arbeitszeit sollte sich danach auf neun Stunden belaufen. Samstagsarbeit war nach Bedarf zu leisten. Die Tätigkeitsbeschreibung verpflichtete den Kläger, seine Mitarbeiter im Rahmen der Sicherstellung der technischen Verfügbarkeit sämtlicher Anlagen im 24-Stunden-Betrieb auch außerhalb seiner Arbeitszeiten telefonisch, nötigenfalls auch durch seine persönliche Anwesenheit bei der Störungsbeseitigung zu unterstützen. Danach lag die Überschreitung der öffentlich-rechtlich geregelten Arbeitszeit nicht fern. Hinzu kommt das unklare Verhältnis der in Abs. 3 des § 3 getroffenen Regelung zu der in Abs. 2.




Übrigens: der Unterschied von Mehrarbeit und Überarbeit ist in Wikipedia nicht hinreichend verdeutlicht. Allerdings wird der Begriff nirgends einheitlich definiert, selbst die Gesetze benutzen den Begriff unterschiedlich. Einen schönen Beitrag finden Sie in diesem Beitrag von Tobias Michel, verdi, auf: http://www.die-welt-ist-keine-ware.de/schichtplanfibel/mehrarbeit.htm

Der BAG meint laut  BAG-Entscheidung (vom 3.12.2002 - 9 AZR 462/01 ) die  Mehrarbeit  die über die werktägliche Arbeitszeit hinausgehende Zeit. Damit wird Arbeit über acht Stunden hinaus zur Mehrabeit. Denn das BAG blickte auf § 3 ArbZG und § 37 Abs. 3 BetrVG.

Das Urteil bietet Studierenden eine schöne Gelegenheit, sowohl die Regeln des Arbeitsrecht als auch die Regeln des AGB-Rechts zu vertiefen.