Der "BFH erleichtert den Nachweis von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen", heißt es in einer Pressemittielung vom 19. Januar zu zwei Urteilen des Bundesfinanzhofs (Urteil vom 11.11.10 VI R 17/09 und Urteil vom 11.11.10 VI R 16/0).
Aber eigentlich reicht die Bedeutung viel weiter: der Krankheitsbegriff wird meines Erachtens fast schon erweitert. Es können jedenfalls Ausgaben eingebracht werden, bei denen man bisher keine Chance auf Anerkennung als Krankheitskosten sah. Damit ist diese Sache nicht nur für die Steuerfachausbildung (außergewöhnliche Belastungen, § 33 EStG) und Steuerberater, sondern auch für alle Bürger interessant. Denn diese müssen erst wissen, was man als steuermindernd absetzen können, bevor sie es überhaupt erst angeben.
Zu den Urteilen:
Unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass zur Geltendmachung von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen der Nachweis einer Krankheit und der medizinischen Indikation der Behandlung nicht mehr zwingend durch ein vor Beginn der Behandlung eingeholtes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten bzw. Attest eines öffentlich-rechtlichen Trägers geführt werden muss. Der Nachweis kann vielmehr auch noch später und durch alle geeigneten Beweismittel geführt werden.
Nach § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Hierzu gehören insbesondere Krankheitskosten und zwar auch dann, wenn sie der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen, unter der ein unterhaltsberechtigtes minderjähriges Kind des Steuerpflichtigen leidet.
Im Verfahren VI R 17/09 stand die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen zur Behandlung einer Lese- und Rechtschreibschwäche in Streit. Der Sohn der Kläger besuchte auf ärztliches Anraten ein Internat mit integriertem Legastheniezentrum. Die Kläger hatten auf die Übernahme der Schulkosten durch den Landkreis verzichtet. Statt dessen machten sie den Schulbeitrag, Kosten für Unterkunft und Verpflegung sowie Therapiekosten als außergewöhnliche Belastungen erfolglos beim Finanzamt geltend. Auch die daraufhin erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Denn Aufwendungen für eine Legasthenietherapie (im Streitfall mit Unterbringung in einem entsprechenden Internat) seien nur dann als Krankheitskosten gemäß § 33 EStG zu berücksichtigen, wenn der Lese- und Rechtschreibschwäche Krankheitswert zukomme und die Aufwendungen zum Zwecke ihrer Heilung oder Linderung getätigt würden. Dies sei nach ständiger Rechtsprechung des BFH durch Vorlage eines vor der Behandlung ausgestellten amtsärztlichen Attestes oder eines Attestes des medizinischen Dienstes einer öffentlichen Krankenversicherung nachzuweisen.
In der Sache VI R 16/09 war streitig, ob die Anschaffungskosten für neue Möbel als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind, wenn sich die Kläger wegen Asthmabeschwerden ihres Kindes zum Erwerb veranlasst sehen. Auch hier blieb die Klage vor dem Finanzgericht (FG) ohne Erfolg, da die konkrete Gesundheitsgefährdung durch die alten Möbel nicht durch ein amtsärztlichen Attest nachgewiesen worden sei.
Auf die Revision der Kläger hat der BFH beide Vorentscheidungen aufgehoben und unter Änderung der bisherigen Rechtsprechung entschieden, dass Krankheit und medizinische Indikation der den Aufwendungen zugrundeliegenden Behandlung nicht länger vom Steuerpflichtigen nur durch ein amts- oder vertrauensärztliches Gutachten bzw. ein Attest eines anderen öffentlich-rechtlichen Trägers nachgewiesen werden können. Ein solch formalisiertes Nachweisverlangen ergebe sich nicht aus dem Gesetz und widerspreche dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Diese obliege dem FG. Das FG und nicht der Amtsarzt oder eine vergleichbare Institution habe die erforderlichen Feststellungen zu treffen. Zwar verfüge das FG nicht über eine medizinische Sachkunde und müsse deshalb regelmäßig ein ärztliches Gutachten über die Indikation der streitigen Maßnahme einholen. Es sei aber nicht ersichtlich warum nur ein Amtsarzt oder etwa der medizinische Dienst einer öffentlichen Krankenversicherung, nicht aber ein anderer Mediziner die erforderliche Sachkunde und Neutralität besitzen soll, die medizinische Indikation von nicht nur für Kranke nützliche Maßnahmen objektiv und sachverständig beurteilen zu können. Die Befürchtung der Finanzbehörden und des dem Verfahren beigetretenen Bundesministeriums der Finanzen, es könnten Gefälligkeitsgutachten erstattet werden, teilte der BFH nicht. Auch sei das Verlangen nach einer amtsärztlichen oder vergleichbaren Stellungnahme zur Missbrauchsabwehr nicht erforderlich. Denn durch ein von einem Beteiligten vorgelegtes Privatgutachten, beispielsweise des behandelnden Arztes könne der Nachweis der Richtigkeit des klägerischen Vortrags und damit der medizinischen Indikation einer Heilmaßnahme ohnehin nicht geführt werden. Ein solches sei lediglich als urkundlich belegter Parteivortrag zu würdigen.
Darüber hinaus hat der BFH in dem Verfahren VI R 17/09 entschieden, dass der Verzicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen dem Abzug von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG nicht entgegensteht.
Zu den Urteilen: Urteil des VI. Senats vom 11.11.2010 - VI R 16/09 -, Urteil des VI. Senats vom 11.11.2010 - VI R 17/09