Dienstag, 5. Juli 2016

UWG-Reform - wieder ein Meisterstück des Wahnsinns der Gesetzgebertechnik



Chapeau-Claque für den Gesetzgeber zur UWG-Reform 2015. Jedenfalls, wenn er uns in den Wahnsinn treiben wollte.

Wenn man von dieser Prämisse ausgeht, dann hat er außerdem meisterlich fortgesetzt, was er schon bei der UWG-Reformen 2004 und 2008,  oder später im Steuerrecht bei der Bürgerentlastungsreform mit dem Sonderausgaben-Paragraphen § 10 Nr. 3 a.F. gemacht hat (der in § 10 Nr. 3 und Nr.3a aufgesplittet wurde). Und die Liste ließe sich fortsetzen.

Es sollten für die Praxis keine inhaltlichen Änderungen sein, hieß es. Und theoretisch gäbe  es auch nur ein paar Änderungen, aber nur für den tiefer forschenden Fachmann (Neukonstruktion der Generalklausel in § 3,  fachliche Sorgfalt als neuer Begriff etc.).

Für die Ausbildung dürfte sich also nichts ändern, es sollen die bisherigen Fallgruppen weitergelten. Insgesamt wollte man sich einer EU-Richtlinie anpassen und gleich die neueste Rechtsprechung berücksichtigen (z.B. durch Wegfall des § 4 Nr. 6 UWG). Soweit so gut.


Was bewirken Umnummerierungen in der Fachwelt?


Die Umnummerierung und Umstellung ausgerechnet in der bisher zentralen Norm des § 4 UWG (alte Fassung, natürlich, also bis Dez. 2015) ist aber so unglücklich, dass keines der bisherigen Bücher, Aufsätze, Internetartikel, UWG-Kommentare und  Rechtslehre-Bücher mehr passt, ebensowenig Rechts-Skripten über Wettbewerbsrecht oder mit Kapitel Wettbewerbsrecht.

Und vor allem: die für Wettbewerbsrechtsverständnis so wichtigen Urteile, die im Studium herangezogen werden müssen, will man in die Tiefe gehen, zielen jetzt mit ihren §§-Zitaten ins "Leere".

Nein viel schlimmer - sie gehen nicht ins Leere, sondern verweisen auf Vorschriften, die noch da sind, aber ganz was anderes regeln. Und das ist fatal.

Wenn sich ein Urteil mit der "Werbung mit Angst" beschäftigt und dabei wiederholt den § 4 Nr. 2 UWG zitiert - na ja, der ist schon noch da, aber da steht jetzt was anderes. Selbst wenn das Urteil brandneu ist, also in 2015 erging.

Und wer den Braten richt, und eine gleichartig formulierte Vorschrift weiter vorne oder hinten sucht, findet nichts. Warum? Weil diese Fallgruppe, die vor 2008 aus der Generalnorm abgeleitet und durch Richterrecht ausformuliert wurde, dann den Spezialtatbestand des § 4 Nr. 2 erhielt,  jetzt plötzlich wieder in einer allgemeiner formulierten Vorschrift enthalten sein soll.

Und so geht das durch die Bank mit allen wichtigen Fallgruppen. Wer ein "älteres" Urteil (bis 2015 wohlgemerkt) liest, egal ob gedruckt oder im Internet, findet aber dort keinen Hinweis, dass das ab 2016 nicht mehr stimmt. DIE ALTEN TEXTE BLEIBEN. Ebenso in Aufsätzen (nur ein jedes Jahr aktualisiertes Lehrbuch kann sich anpassen, aber das wars auch schon).

Nicht "ins Leere", sondern "ins Dickicht"

Das Desaster hatte ich (als Dozent in der Erwachsenenbildung) schon bei der UWG-REFORM 2008, wo sich inhaltlich eigentlich auch nicht viel geändert hat. All die Fallgruppen, die ich bis dahin gelehrt hatte, waren in bestimmten Paragraphen verankert, und diese Fallgruppen sollten weiter gelten.

Aber durch die Textumgestaltung stimmte nichts mehr. Wer das IHK-Skript, das ich verwendete, noch jegliche Literatur auf dem Markt, ja selbst die UWG-Gurus im Internet waren nicht mehr mitgekommen, um ihre Werke umzuformulieren. Ein dreiviertel Jahr später waren da immer noch veraltete, wenig hilfreiche Texte.

Wenn man damals, also 2008, wenigsten die Generalnorm in § 1 belassen und nicht auf § 3 UWG verschoben hätte, und dann nur die Spezialtatbestände ausgebaut hätte. Wenn man an bestehende Paragraphen weitere Nummern angehängt hätte (oder meinetwegen die modernen Ziffer-Buchstaben-Kombinationen wie § 3a oder Nr. 3a verwendet hätte, um etwas dazwischen zu schieben), dann wäre das in Ordnung gewesen.

Aber man hat alles umgestellt.

Paragraphenzitate in früheren Urteilen oder Fachausätzen oder Monografien gingen jetzt nichts ins Leere sondern in das Dickicht. Also an unpassende Stellen. Und wer ein Urteil aus 2004 analysieren will, muss erst mal Spezialliteratur suchen, die erklärt, wann in der Zeit danach die Vorschriften geändert wurden und wie. Einfach nicht machbar.

Bei den für jede Grundausbildung wichtigen Sonderausgaben-Paragraphen des § 10 EStG hat man dasselbe gemacht. Die Vorsorgeaufwendungen sind nicht nur für Fachleute wichtig, sondern auch für Wirtschaftsfachwirte, Kaufleute in der Ausbildung, ja auch für Gymnasiasten. Sie gehören zu den Grundlagen des EST-Wissens. Und sie waren früher mal verständlich aufgelistet.

Dass man die Altersvorsorgeaufwendungen 2004 in eine eigene Nummer gepackt hat, ist o.k. Aber bei der Änderung 2010  hat man den § 10 Nr. 3 EStG aufgespalten in eine neue Nr. 3 (die unglüclicherweise so ähnlich klingt wie die alte Nr. 3) und eine Nr. 3a (wo der bisherige Kernbereich hingewandert ist). Und zu allem Überfluss gab es in der bisherigen Nr. 3 eine Unterteilung in Buchstabe a und b, was die Verwechslungsgefahr mit der neuen Nummer 3a perfekt macht.

Und das nur, weil man neben dem Höchstbetrag in Absatz 4 auch einen Mindestsockel einführen wollte, was man auch dort hätte machen können (Stichwort "Bürgerentlastungsgesetz", in der Fachwelt "Bürgerverarschungsetz" gennannt)

Seitdem benötige ich sehr viel mehr Zeit, um Steuerfachangestellten dieses Kapitel zu erklären. Und wenn sie es verstanden haben, dann nur für einen Moment, denn in der Woche darauf sind sie schon wieder verwirrt, und ich muss diese Fälle immer wieder üben.

Alte Texte ändern sich nicht

Aber der erhöhte Zeitaufwand für die Ausbildung ist kein Argument zum "Sudern". Das Hauptproblem ist:

ALTE TEXTE ÄNDERN SICH NICHT. 

Alle Urteile zu Sonderausgaben aus der Zeit davor, alle Fachaufsätze, Monografien, Internetartikel, sind unverändert in Bibliotheken oder im Internet, und verweisen auf den § 10 Abs. 1 Nr. 3, der so ähnlich klingt wie die alte Nr. 3, und doch etwas anderes meint. Und da kommt niemand und notiert daneben: "Achtung, Paragraph hat sich geändert". Der Leser kann einem leid tun.

Ich gebe ein Beispiel:

Sie sind Angestellter in einem Unternehmen und sollen im Auftrag Ihres Chefs prüfen, ob ein Gewinnspiel zulässig ist, das an den Verkauf von Waren gekoppelt ist. Ihr Chef hat von seiner Ausbildung her in Erinnerung, dass das unzulässig sei. Sie forschen, und entdecken das sensationelle Urteil aus dem Jahre 2010, wonach das frühere Verbot der Koppelung Umsatz mit Gewinnspiel weggefallen ist; § 4 Nr. 6 UWG verstoße gegen Europarecht. 

Sie lesen aber auch, und zwar im Urteil wie in allen damals erschienen Beiträgen, dass da noch eine Falle lauert. Denn man müsse immer noch im Einzelfall prüfen, ob nicht ein Verstoß gegen das Transparenzgebot durch "undeutliche Teilnahmebdingungen" (§ 4 Nr. 4 oder 5) oder gegen das Verbot des "übertriebenen Anlockens" (§ 4 Nr. 1) bestehe.
Ihre Pflicht ist es jetzt, dem weiter nachzugehen. Also lesen Sie § 4 Nr. 4, 5 und § 4 Nr. 1 UWG.

Wenn Sie jetzt nicht zufälligerweise wissen, dass genau diese Gesetzesstellen verlegt wurden, werden Sie verwirrt sein, wenn Sie die jetztige Fassung lesen. Und eine Komplett-Fassung 2010 gibt es nirgends im Internet - was aber auch nicht helfen würde, denn Sie wissen dann immer noch nicht, ob diese Nummer völlig weggefallen oder inhaltlich geändert oder nur verschoben wurden.


Ab jetzt waten Sie im Schlamm. Und Ihr Chef wartet auf ein Ergebnis.

Alternativen zu dieser Umnummerierung von Gesetzen?

Kollegen mosern gerne über die ständigen Paragraphen-Erweiterungen mit Buchstabenkombination. Zum Beispiel als das AGB-Gesetz in das BGB aufgenommen wurde, dort jetzt als § 305, 305a, 305b und 305c - oder die Verbraucherverträge, jetzt in § 312 bis 312j BGB. Lustige Nummerierungen, die sicherlich die antiken griechischen Mathematiker in ihren Gräbern kichern lassen. Aber wohl notwendig - mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt.

Es ist jedenfalls besser, als das Gesetz neu zu schreiben und eine komplett neue Nummerierung aufzustellen. Denn dann gäbe es wieder das Desaster, dass alle bis dahin geschriebene Fachliteratur und alle Urteile unpassend sind. Umzuschreiben wären, wenn man sie denn nachträglich umschreiben könnte. Was man nicht kann (von jährlich aktualisierten Rechtskundebüchern abgesehen, wie schon gesagt).

Buch-Autoren - Freud oder Leid?

Buchautoren oder Verfasser von Rechtsskripten haben jetzt wieder Hochkonjunktur. Bücher und Buchkapitel müssten umgeschrieben werden. Man könnte sagen - gut für das Geschäft. Aber ich glaube, nur wenige Autoren denken so. Insgesamt ist das Schreiben von Fachliteratur ein eher unrentables Geschäft, das ist schon seit vielen Jahrzehnten so. Und im Rechts- und Steuerbereich, wo sich fast jährlich etwas ändert, lohnt sich eine einzelne Auflage sowieso kaum.

Das Problem der veralteten Ausbildungsliteratur

Ich muss das Kapitel "Wettbewerbsrecht" für mein Fernlehrbuch Recht umschreiben, klar, genauso aber muss der DIHT seine Skripten umschreiben, unzählige andere Autoren ebenfalls.

Umzuschreiben sind auch ganz gewöhnliche Rechtskundebücher, wie sie im Unterrichtsbereich verwendet werden, z.B. für die kaufmännische Ausbildung, oder für das Gymnasium, und natürlich die Rechtslehre-Bücher für Wirtschaftsfachwirte, die es im allgemeinen Handel gibt.

 Jedesmal beobachte ich bei solchen Reformen, wie sich die Anpassungen in der Ausbildungsliteratur verzögert.

Ich habe in den über 25 Jahren Unterrichtstätigkeit im Bereich der Erwachsenenbildung (von Fernuni bis runter zur FOS) mit soviel veralteten Büchern und Skripten gearbeitet, dass ich längst mit eigenen Unterlagen arbeite.

Ich kann und will aber den Autoren und Verlagen das gar nicht vorwerfen. Denn der Autor muss Zeit und Energie haben, das Buchkapitel neu zu schreiben, der Verlag muss das auch wollen und finanzieren, und so manches gut geschriebene Lernbuch wurde irgenwann "aufgegeben" - nicht mehr erneuert. Verständlich.

Und noch eine Erkenntnis kommt hinzu: Wer einmal ein  Buch im Bereich Recht oder Steuern geschrieben hat, gerät unter die Räder der Änderungswut. Soll heißen: selbst wenn er laufend unterrichtet, selbst wenn er laufend Newsletter bezieht - die Menge an Änderungen ist so gigantisch, dass er sie immer erst mit viel Verzögerung bemerkt. Manchmal nur durch Zufall. Oft überhaupt nicht. Bücher und Skripten, die ich zu redigieren hatte, oder mit denen ich arbeiten musste, enthielten veraltete Rechtsausführungen, die eigentlich schon mit der vorvorletzten Auflage  aufzugeben gewesen wären.



UWG-Reform für Dozenten und Autoren

Gut, liebe Dozenten und Autoren, die ihr euch nicht spezialisiert habt sondern das Kapitel Wettbewerbsrecht im Rahmen von Recht im allgemeinen behandelt. So wie ich. Ihr wollt Hilfestellung für die UWG-Reform 2015, damit ihr die Skripten umschreiben könnt? Die vorhandenen Bücher durch eigene Unterlagen ergänzen könnt?

Dürfte ja nciht schwer sein, wenn sich kaum was geändert hat, nicht wahr.
Wie hieß es in der Gesetzesvorlage, die am 1.4.2015 eingebracht wurde?
Obgleich die Rechtsanwendung im Bereich des Lauterkeitsrechts in Deutschland den Vorgaben der Richtlinie 2005/29/EG entspricht, besteht bei einzelnen Punk- ten noch Klarstellungsbedarf (…) Mit dem Gesetzentwurf sollen die entsprechenden klarstellenden Anpassungen im UWG vorgenommen werden. Dadurch werden die in der Richtlinie 2005/29/EG enthaltenen Regelungen für den Anwender bereits aus dem Wortlaut des UWG ersichtlich.

 Hier sind also ein paar Synopsen und Erklärungen, wobei ich die besten schon herausgesucht habe:

Synopsen:

Na? Durchgesehen? Verwirrt? Doch nicht so einfach.
So jedenfalls kann man das den Schülern nicht vorlegen.

Die Erläuterungen im Original-Gesetzesentwurf sind noch zeitraubender:

Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb


Und das alles, weil sich der Gesetzgeber bei der Gesetzestechnik zu wenig Gedanken über diese Mechanismen macht. Eine andere Umnummerierung hätte hier viel Schaden vermieden.